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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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wieso soll ich draufzahlen?«
    »Also gut«, lenkte die üppige Witwe ein. »Jeder von uns zahlt die Hälfte, und die Sache ist erledigt. Zwei Dollar fünfzig.«
    Bill zog sein Geldbündel aus der Tasche. Er bezahlte im Voraus die Miete für vier Wochen und die Hälfte des Spiegels. Mrs. Ciccone konnte den Blick nicht von dem Dollarbündel abwenden. Als sie mit dem Spiegel zurückkam, bemerkte Bill, dass sie ihre Lippen zu einem roten Herz nachgezogen und die obersten beiden Knöpfe ihrer rosafarbenen Bluse geöffnet hatte, sodass ihre prallen, in einen farblich zur Bluse passenden Büstenhalter gezwängten milchweißen Brüste zur Geltung kamen. Und die ausgetretenen Pantoffeln, die sie zuvor getragen hatte, waren einem Paar spitzer, hochhackiger Pumps gewichen.
    »Sind Sie Schauspieler, Mr. Fennore?«, fragte sie und fuhr sich mit einer Hand durch die blondierten Locken.
    »Nein.«
    »Aber Sie arbeiten beim Film, nicht wahr?«
    »Nein.«
    »Seltsam«, bemerkte die Witwe Ciccone.
    »Wieso?«
    »Weil in Los Angeles alle ins Filmgeschäft wollen.«
    »Ich nicht.«
    »Bedauerlich ... Sie haben eine gute Figur«, sagte sie mit einem vielsagenden Lächeln. »Sie können mich übrigens Beverly nennen, wenn Sie möchten, Mr. Fennore. Oder einfach nur Bev.«
    »In Ordnung.«
    »Wenn das so ist, werde ich dich Cochrann nennen, ja? Oder vielleicht der Einfachheit halber ... Cock.« Kichernd schlug sie sich die Hand vor den Mund.
    Bill blieb ernst. An solchen Schlampen konnte er nichts Amüsantes finden. »Wo finde ich hier eine Bank?«, erkundigte er sich.
    »Zwei Blocks weiter. Der Direktor ist ein Freund von mir ... nun ja, er kennt mich. Sag ihm, dass ich dich schicke, Cock.« Mit diesen Worten stolzierte sie aus der Wohnung und schwenkte dabei ihren ausladenden Hintern, der vielleicht einer der Gründe für das frühzeitige Ableben Tony Ciccones gewesen war.
    Bill schloss die Tür und sah sich in Ruhe in seiner Wohnung um. Die Wände waren schmutzig, und an manchen Stellen waren dunkel umrandete hellere Rechtecke zu sehen, wo einmal Bilder gehangen haben mussten.
    Am Tag darauf zahlte er zweitausend Dollar auf ein Depotkonto bei der American Savings Bank ein, behielt siebenundsiebzig Dollar in der Tasche und kaufte einen Pinsel und zwei Eimer weiße Farbe. Damit kehrte er ins Palermo zurück und strich die Wände seines Apartments. In der Nacht darauf herrschte ein unerträglicher Gestank in der Wohnung, sodass Bill zum Schlafen die Fenster weit aufriss und, im Bett liegend, der Geräuschkulisse von Los Angeles lauschte.
    Fast alle Gäste des Palermo Apartment House träumten davon, ins Filmgeschäft einzusteigen. Das Mädchen, das Bill gegenüber in Nummer fünf wohnte, hatte lange, kastanienbraune Locken, die es seit dem Tod von Olive Thomas im Jahr 1920 mit großer Sorgfalt pflegte. Die junge Frau, Leslie Bizzard – »Aber mein Künstlername ist Leslie Bizz«, hatte sie Bill anvertraut –, rechnete fest damit, dass Hollywood auf der Suche nach einem Ersatz für die Hauptdarstellerin aus The Flapper war, die sich in Paris mit Gift das Leben genommen hatte. Sechs Jahre war Olive Thomas bereits tot, aber dennoch pflegte Leslie unermüdlich ihre kastanienbraunen Locken, die ihr, wie sie fand, eine unglaubliche Ähnlichkeit mit dem verstorbenen Filmstar verliehen und somit der Garant für ihren Erfolg waren. »Alles eine Frage der Geduld«, hatte sie Bill erklärt. Einstweilen arbeitete sie als Verkäuferin in einem Modegeschäft und wartete darauf, entdeckt zu werden.
    In Nummer sieben lebte Alan Rush, ein an Arthritis leidender alter Mann, dem sämtliche Mieter Respekt zollten, da er als Statist in zwei Monumentalfilmen von Cecil B. DeMille mitgespielt hatte.
    Der Mieter von Nummer acht war ein knabenhafter junger Mann, Sean Lefebre, ein Ensemble-Tänzer, der im Theater und gelegentlich auch beim Film arbeitete. Bill hatte eine spontane Abneigung gegen diesen Schönling gefasst. Und als er ihn dann eines Abends, eng umschlungen und zärtlich turtelnd, mit einem anderen Mann in Wohnung Nummer acht verschwinden sah, fühlte Bill sich in seinem ersten Eindruck bestätigt. Tags darauf setzte er die Eigentümerin des Palermo Apartment House von dem Schwulen in Kenntnis und machte dabei aus seiner Abscheu keinen Hehl. Mrs. Ciccone jedoch lachte ihn aus. »In Los Angeles wimmelt es nur so von Schwuchteln, Süßer«, erklärte sie ihm. »Besser, du gewöhnst dich schon mal daran, Cock.«
    Der Bewohner von Nummer vierzehn war

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