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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Boden.
    »Komm mal her und halt das Kabel für mich«, sagte Cyril auf einmal.
    Christmas erhob sich und ging hinüber zum Werktisch.
    »Hier, halt es genau so«, brummte Cyril.
    »So?«
    Cyril nahm seine Hand und schlug sie dort auf den Tisch, wo er das Kabel halten sollte. Dann machte er sich daran, es mit einem anderen Kabel zu verlöten.
    »Danke«, sagte Christmas.
    »Du redest zu viel.«

39
    Manhattan, 1926
    Cyril saß wie immer über seinen Werktisch gebeugt. Und auf seinem zerfurchten Gesicht lag seit einer Woche ein Ausdruck der Zufriedenheit. Cyril wusste alles über das Radio. Das Radio war sein Leben. Wegen seiner pechschwarzen Haut würde er niemals Karriere machen, aber das war ihm nicht wichtig. Ihm genügte es, alles, was kaputtging, reparieren zu können und auszutüfteln, wie sich Worte und Musik noch besser in den Äther übertragen ließen. Das war alles, was er wollte. Zudem hatte er auf seine Weise bereits Karriere gemacht. Als er als Lagerarbeiter eingestellt worden war, hatte er keine andere Aufgabe gehabt, als Ersatzteile zu sortieren und sie den Technikern, die für Reparaturen zuständig waren, auszuhändigen. Wenn auch sein Lohn der eines Lagerarbeiters geblieben war, war er dann nach und nach selbst zum Techniker geworden, an den alle höheren Etagen sich wandten. Und das hatte einen glücklichen Mann aus Cyril gemacht. Das Lager war seine Welt, sein Reich. Er kannte jedes einzelne Regal und wusste jederzeit, wo er finden konnte, was er brauchte, obgleich das Lager fremden Augen chaotisch erscheinen mochte.
    Als man Cyril ungefähr zehn Tage zuvor mitgeteilt hatte, er werde einen Gehilfen bekommen, war er erstarrt. Der Gedanke an einen Fremden hatte ihm gar nicht gefallen, vielmehr hatte er Christmas’ Erscheinen als unliebsame Invasion empfunden. Seit einer Woche jedoch war Cyril hinter seiner mürrischen Fassade eine gewisse Zufriedenheit darüber anzusehen, dass Christmas nun da war. Wenn Cyril etwas hasste, dann waren es die Gänge in die oberen Etagen, die Etagen der Weißen, um die reparierten Teile zurückzubringen und anzuschließen. In den eigentlichen Sendestudios war er nicht mehr der König, als der er sich im Lager fühlte. Dort oben war er wieder nur ein Schwarzer. »Zum Putzen ist jetzt keine Zeit«, sagten sie zu ihm, wenn sie ihn kommen sahen. Sicher, was konnte ein Schwarzer an einem Ort für Weiße schon zu suchen haben? Er konnte nur eine billige Reinigungskraft sein. Auch erkannte ihn keiner der Weißen aus den höheren Etagen je wieder. Für die Weißen sahen alle Schwarzen gleich aus, so wie auf New Yorks Gehwegen ein Hundehaufen den Millionen anderer Hundehaufen glich. Nun aber oblag es Christmas, die reparierten Teile auszuliefern. Und Cyril konnte sich ab sofort jede Sekunde des Tages als der König des Lagers fühlen. Daher lächelte er auch jetzt, während er einen Galenit-Kristall aus einem alten Radio ausbaute, leise in sich hinein.
    »Diamond!«, ertönte auf einmal eine laute Stimme. »Hey, Diamond!«
    Cyril drehte sich zur metallenen Lagertür um, die unter den Schlägen des Rufers auf der anderen Seite erzitterte. Er erhob sich von seinem Werktisch und ging bedächtig zur Tür.
    »Diamond! Diamond, bist du da drin? Mach die verfluchte Tür auf!«
    »Wer bist du?«, fragte Cyril, ohne zu öffnen.
    Das Hämmern brach ab. »Ich suche Christmas«, sagte die Stimme. »Er arbeitet doch hier?«
    »Wer bist du?«, fragte Cyril erneut.
    »Ich bin ein Freund.«
    Cyril ließ das Schloss aufschnappen und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Draußen stand ein Weißer, kaum älter als zwanzig Jahre, mit dem Gesicht eines Taugenichts und einem zu grellen Anzug, als dass man den Jungen für einen anständigen Kerl hätte halten können. Augenblicklich bereute Cyril, die Tür geöffnet zu haben. »Christmas ist nicht da. Er liefert gerade etwas aus«, sagte er hastig und wollte die Tür wieder schließen.
    Der Junge aber schob seinen Fuß in den Spalt. Er trug auffällige Lackschuhe. »Wann kommt er denn wieder?«
    »Gleich«, entgegnete Cyril und versuchte abermals, die Tür zu schließen. »Warte draußen.«
    »Für wen hältst du dich, Nigger, dass du mich herumkommandierst?«, herrschte ihn der Junge an, der die Tür nun mit Gewalt aufstemmte. »Ich warte drinnen auf ihn.«
    »Du hast hier nichts verloren«, widersprach Cyril.
    Da ließ der Junge ein Messer aufspringen und fuhr mit der Klinge zwischen seinen Zähnen entlang. »Ich hasse Roastbeef-Sandwiches. Das

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