Der Junge, der Träume schenkte
»Wir sind doch Freunde, stimmt’s?« Er breitete die Arme aus. »Wenn du’s dir anders überlegst und in das Geschäft einsteigen willst, findest du mich jederzeit im Knickerbocker Hotel zwischen der 42nd Street und dem Broadway. Du bist ein kräftiger Kerl, wir könnten dich gebrauchen. Denk darüber nach.«
»Okay, ich muss jetzt gehen. War schön, dich zu sehen«, gab Christmas zurück und wandte sich zur grünen Tür mit dem auffälligen Schriftzug N. Y. Broadcast , den er auch an diesem Morgen wieder poliert hatte.
»Diamond, warum nimmst du dir nicht zwei Stunden frei?«, fragte da Joey mit vor Zorn bebender Stimme.
»Ich kann nicht.«
»Kannst du nicht, oder willst du nicht?«
»Was macht das für einen Unterschied?«
Joey verzog den Mund zu einem hämischen Grinsen. »Komm schon, sag diesem Mr. Nigger, du wärst in zwei Stunden wieder da. Im Knickerbocker gibt es zwei geile Nutten. Du schiebst eine heiße Nummer und kommst danach zurück in das Loch hier. Die Rechnung geht auf mich.«
»Ich lass mich nicht mit Nutten ein«, erwiderte Christmas wie versteinert und sah ihn mit eisigem Blick an.
Joey wich einige Schritte zurück. Theatralisch fasste er sich an die Stirn. »Ach ja, ich hatte ganz vergessen, dass deine Mutter eine Hure war.« Er grinste ihn noch einmal an, doch sein Blick war voller Groll, dann ging er rückwärts davon. »Wenn du’s mit einer Nutte treibst, kommt es dir vor, als würdest du deine Mutter ficken, ist es nicht so?«
»Du kannst mich mal, Joey.« Christmas kehrte zurück ins Lager und knallte die Tür hinter sich ins Schloss. Dann trat er gegen einen Karton. Und noch einmal. Und ein weiteres Mal, so oft, bis der Karton völlig zerstampft war.
Cyril saß an seinem Werktisch. Er wandte sich um, sagte aber nichts.
Christmas fing seinen Blick auf. »Verzeihen Sie, Mr. Davies«, bat er, und seine Stimme zitterte vor Wut.
»Wenn du gern etwas zerstören möchtest, komm her und mach dich nützlich, es gibt ein paar jüdische Hochzeiten zu feiern.«
Missmutig trat Christmas an den Tisch heran. »Ein paar was?«
Cyril grinste. »Ich bin auf den Namen gekommen, weil die Juden bei ihrer Hochzeit ein Glas in ein Taschentuch wickeln und es dann zerbrechen.« Dabei zeigte er auf einen Behälter. »Da drin sind lauter kaputte Radioröhren. Nimm dir den Lappen da und einen Hammer. Zerschlag sie und leg die Kathoden in diese Schachtel hier, die Anoden in die andere und die Steuergitter hierher.«
»Okay«, sagte Christmas mit finsterer Miene.
»Wenn du dich abreagiert hast, musst du hoch in den fünften Stock, in den Konzertsaal. Bist du in der Lage, ein Mikrofon anzuschließen?«
»Nicht, dass ich wüsste ...«
»Was soll ich bloß mit einem Gehilfen anfangen, der rein gar nichts kann?«, brummte Cyril. »Du hast doch bei mir schon dutzende Male gesehen, wie es geht. Jeder Idiot könnte das.«
»Okay.«
»Okay.« Damit drehte Cyril sich um und beugte sich wieder über seinen Werktisch.
Christmas schnappte sich den Behälter mit den defekten Röhren und begann, mit dem Hammer wütend auf sie einzuschlagen. Mehr als fünfzig zertrümmerte er. Dann hielt er inne. Er blickte zu Cyril hinüber, der gerade eine Schalttafel reparierte. Tief atmete er ein paar Mal ein und aus. »Tut mir leid, was passiert ist, Mr. Davies«, sagte er schließlich.
»Wenn du genug Getöse veranstaltet hast, würde es dir dann etwas ausmachen, im fünften Stock das Mikrofon einzubauen? Ohne Eile natürlich. N. Y. Broadcast richtet sich ganz nach dir.«
Christmas grinste, kippte die Glasscherben in den Abfalleimer und griff sich den Karton mit dem Mikrofon. »Bin schon weg, Mr. Davies.«
»Und hör auf mit diesem Mr. Davies , du Idiot. Willst du dich vor allen lächerlich machen?«
Der Konzertsaal wurde so genannt, weil er das größte Aufnahmestudio bei N. Y. Broadcast war, komplett ausgestattet für ein vierzigköpfiges Orchester. Christmas hatte bereits mit Cyril dort zu tun gehabt und war vom ersten Augenblick an beeindruckt gewesen von dem Raum, der mit seinen erhöhten Rängen für die Musiker wie ein Amphitheater wirkte. Die gegenüberliegende Wand war von einem großen Glasrechteck durchbrochen, durch das man in die Kabine der Tontechniker blicken konnte. In der Saalmitte stand ein einzelnes Mikrofon für den Solisten oder Sänger, rechts davon ein gewaltiger, schwarz glänzender Konzertflügel.
»Ah, da bist du ja endlich«, erklang eine Stimme hinter ihm.
Christmas drehte sich um und sah
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