Der Junge, der Träume schenkte
Christmas um. »Was hast du hier zu suchen? Treib dich woanders herum!«
Christmas sah ihn an und lächelte.
Unterdessen dachte er an den Flug der Würfel zurück, wie sie munter über den grünen Filz gehüpft, leise gegen die Bande geprallt und im Zurückrollen immer langsamer geworden waren. Eine Fünf. Und dann eine Sechs.
»Du hast Schwein, Rabbit«, war Gurrahs Kommentar gewesen.
Rothstein, der seine Hand die ganze Zeit über in Christmas’ Nacken hatte liegen lassen, hatte ihm kurz auf die Schulter geklopft. »Jetzt verschwinde«, hatte er gesagt.
Und erst beim Hinausgehen war es Christmas über die Lippen gekommen. »Danke.«
Lepke hatte ihm nachgepfiffen. »Nimm dich in Acht, diese Künstler sind alle Schwuchteln.« Sein höhnisches Gelächter hatte Christmas noch bis nach draußen begleitet.
»Was gibt’s da zu lachen, Junge?«, wollte jetzt der Schwarze vor der Tür von N. Y. Broadcast wissen.
Es mag zwar nicht so sein, wie ich es mir in den vergangenen beiden Tagen erträumt habe, dachte Christmas. Es wird dauern, bis ich das Funkhaus durch den Haupteingang betreten kann. Aber ich bin da. Und das ist alles, was zählt. »Ich hatte eine Elf«, erklärte er dem Schwarzen.
»Bist du nicht ganz richtig im Kopf?«
»Du bist Cyril?«, vergewisserte sich Christmas.
Der Schwarze zog die Stirn kraus. »Was willst du?«
»Man hat mir gesagt, ich soll mich heute vorstellen.« Unschlüssig hielt Christmas ihm den Zettel hin.
Unwirsch riss Cyril ihn an sich. »Ich bin zwar schwarz, aber kein Analphabet«, sagte er mürrisch, während er einen Blick auf den Zettel warf. »Ah, man hatte mir gesagt, dass ein Neuer kommt.« Er musterte ihn. »Ich brauche keinen Gehilfen. Aber wenn sie dich eingestellt haben ...« Er zuckte die Schultern. »Was verstehst du denn vom Radio?«
»Nichts.«
Cyril schüttelte den Kopf und ließ die Mundwinkel hängen, wodurch sein Gesicht noch zerfurchter wirkte. »Wie heißt du?«
»Christmas Luminita.«
»Was für ein Name ... der passt zu einem Nigger.«
Christmas sah ihm geradewegs ins Gesicht. »Da bist du der Experte von uns beiden, Cyril«, konterte er.
Cyril tippte ihm an die Brust. »Für dich, Junge, bin ich Mr. Davies «, erwiderte er brummend, aber Christmas sah Cyrils Augen belustigt aufblitzen. Dann griff der Mann in den Lagerraum, brachte einen Lappen zum Vorschein und warf ihn Christmas zu. »Von heute an bist für das Polieren der Buchstaben zuständig.« Damit ging er ins Lager und ließ die Tür mit einem dumpfen Schlag hinter sich ins Schloss fallen.
Hastig putzte Christmas mit dem Lappen die Buchstaben und klopfte anschließend an die Tür.
»Wer ist da?«, rief Cyril von drinnen.
»Mach auf, Cyril, ich bin fertig.«
»Hier ist kein Cyril.«
Christmas schnaubte. »In Ordnung. Würden Sie die Tür bitte aufmachen, Mr. Davies?«
Cyril kam an die Tür, stieß Christmas zurück und warf einen prüfenden Blick auf die Buchstaben. Das Messing glänzte. Er nickte, bevor er wieder hineinging und die Tür hinter sich offen ließ. Christmas folgte ihm.
»Und mach sie leise zu«, sagte Cyril, ohne sich umzuwenden.
Ich bin drin, schoss es Christmas durch den Kopf.
Der Raum war riesig groß, mit Regalen vollgestellt, düster und niedrig. Etwas weiter hinten stand ein Werktisch mit einem elektrischen Lötkolben und einer Zwinge. Im Näherkommen entdeckte Christmas außerdem Schraubenzieher, eine große Lupe, die auf einem ausziehbaren Gestell an der Wand befestigt war, Scheren, Schachteln mit Schrauben in allen Größen, in Einzelteile zerlegte Mikrofone, Drahtspulen und Radioröhren und andere Utensilien, von denen er nicht die leiseste Ahnung hatte, wozu sie gut sein könnten.
»Was soll ich tun?«, fragte er.
»Nichts«, entgegnete Cyril, während er sich an den Werktisch setzte. »Such dir eine Ecke, wo du mich nicht störst, und sei still.«
Christmas schlenderte durch den Lagerraum und blickte neugierig in die Regale. Er zog einen Sockel mit aufmontierten Röhren heraus.
»Leg das zurück«, sagte Cyril, ohne sich umzudrehen.
Christmas gehorchte und setzte seine Inspektion fort. Im Raum lag ein Geruch, den er nicht kannte, der ihm aber gefiel. Ein metallischer Geruch. Christmas entdeckte eine dicke, mit blankem Kupferdraht umwickelte Holztrommel. »Wozu braucht man denn die hier?«, wollte er wissen.
Cyril gab keine Antwort. Er nahm einen Schraubenzieher zur Hand und baute ein Mikrofon auseinander.
Christmas ging zu ihm und beobachtete ihn.
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