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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Ledermaske lächelte er. Das Mädchen schlug theatralisch die Hand vor den Mund, wie es die Darstellerinnen im Stummfilm taten. Langsam ging Bill auf sie zu.
    Das Mädchen jammerte leise: »Nein ... nein ... bitte ... gehen Sie ... nein ...«
    Bill packte sie an einem der Zöpfe und schleuderte sie in die Mitte des Sets. Als das Mädchen aufstand, wirkte der ängstliche Gesichtsausdruck schon beinahe echt. Aber das war nicht genug. Da schlug Bill ihr mit der Faust in den Magen. Das Mädchen krümmte sich stöhnend. Und als der Punisher ihren Kopf anhob, damit die Kamera sie besser im Bild hatte, wirkten der Schmerz und der Schrecken in ihren Augen absolut realistisch. Bill lachte, riss ihr dann das Kleid vom Leib und prügelte weiter auf sie ein. Während er die Kameras surren hörte, wurde seine Erregung immer größer.
    »Stopp!«, brüllte zehn Minuten später Arty Short.
    In der nachfolgenden Stille war deutlich zu hören, wie der Schalter des Generators umgelegt wurde. Die Scheinwerfer erloschen und knisterten beim Abkühlen. Dunkelheit senkte sich über die Halle. Die Lampe, die mitten über dem Set vom Deckengerüst herabhing, verbreitete erneut ihr mattes Licht. Und in dem unscharf begrenzten Lichtkegel – derweil Bill sich die Ledermaske vom Gesicht zog und den Set verließ – blieb das Mädchen einige Sekunden reglos, wie tot, am Boden liegen. Schließlich legte sie mit einer unnatürlich langsamen Bewegung die Hand vor ihre Leiste. Mit dem anderen Arm bedeckte sie ihren nackten Busen. Ein Schluchzen durchfuhr sie. Dann sah sie zu den Kameras hinüber, die zu surren aufgehört hatten, und sagte leise: »Oh mein Gott ...«
    Ringsum in der Dunkelheit waren alle still.
    »Dokor Winchell!«, brüllte Arty Short.
    Im schwachen Lichtkegel erschien ein Mann um die sechzig mit einer kleinen runden Goldbrille und spärlichem weißem Haar. Er war grau gekleidet, hielt ein Köfferchen in der einen und zwei Decken in der anderen Hand. Der Arzt kniete sich neben das Mädchen, deckte es zu, legte ihm die andere Decke zusammengerollt unter den Kopf und öffnete den Koffer. Er holte eine Spritze heraus, die er mit einer zähen, klaren Flüssigkeit aufzog. Das Mädchen hatte den Kopf noch immer zur Seite gedreht und sah hinüber ins Dunkle, zu den abgeschalteten Kameras. Als der Arzt behutsam ein Stauband um ihren Arm legte und es strammzog, wandte sie ihm den Blick zu.
    »Das ist Morphin«, erklärte Dr. Winchell. »Es nimmt dir die Schmerzen.«
    Er stach die Nadel in die geschwollene Vene, löste das Stauband und injizierte die Flüssigkeit. Dann zog er die Nadel wieder heraus und presste einen mit Desinfektionslösung getränkten Wattebausch auf die kleine Wunde.
    Während der Arzt seine Utensilien wieder im Köfferchen verstaute, kam Arty Short hinzu. Er zog ein Bündel Geldscheine aus der Tasche, beugte sich über das Mädchen und drückte sie ihm in die Hand. »Das sind fünfhundert Dollar«, sagte er. »Ich habe auch schon mit einem Produzenten geredet, der mir versprochen hat, dir eine Rolle in einem seiner Filme zu geben. Solltest du allerdings zur Polizei gehen, schadest du dir nur selbst.« Er erhob sich. »Du warst sehr gut.« Dann wandte er sich ab, und seine Schritte entfernten sich in der Dunkelheit.
    Betreten lächelte Dr. Winchell der jungen Frau zu, bevor er etwas Mull zur Hand nahm und sich sanft daranmachte, die Wunden in ihrem Gesicht zu versorgen und das Blut abzuwaschen.
    »Du warst großartig!«, hörte man weiter hinten Arty Short ausrufen. »Warte nur ab, was ich daraus im Schneideraum mache. Gehen wir was trinken, Punisher. Du wirst zur Legende, glaub mir.« Sein Gelächter dröhnte durch die Halle.
    Das Mädchen sah Dr. Winchell an, der sich noch immer um die Verletzungen kümmerte. »Sie erinnern mich an meinen Großvater ...«

45
    Los Angeles, 1927
    »War das Ihr Ernst, als Sie Ihrer Frau versprochen haben, mir zu helfen?«, wollte Ruth von Mr. Bailey wissen, als sie im vierten Stock am Venice Boulevard vor der Fotoagentur Wonderful Photos stand.
    Mr. Bailey sah sie an. Ruth hielt einen Koffer in der Hand, einen eleganten Koffer aus grünem Krokodilleder. »Bringst du dich gerade in Schwierigkeiten?«, fragte er, während er zur Seite trat, um sie hereinzulassen.
    Ruth blieb stehen. »Nein.«
    »Und ich gehe davon aus, du bringst auch mich nicht in Schwierigkeiten, oder etwa doch?«
    Ruths Gesicht nahm einen erstaunten Ausdruck an. »Nein ... natürlich nicht.«
    »Warum kommst du nicht

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