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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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nun?«, fragte Christmas.
    »Heb dir die Luft für deine Sendung auf, Junge«, sagte Cyril.
    »Kriegst du es hin?«, fragte Karl.
    »Denken Sie, Sie können alles beschaffen, was ich brauche?«
    »Alles, was du willst.«
    Grinsend nickte Cyril vor sich hin. »Für einen Weißen sind Sie gar nicht so übel, Mr. Jarach.«
    »Nenn mich Karl.«
    Cyril lächelte zufrieden. »Im Kern ändert sich nichts. Für einen Weißen bist du gar nicht so übel.«
    »Also? Kriegen wir das hin?«, fragte Karl.
    Cyril nickte.
    »Meinst du wirklich?«, vergewisserte sich Christmas in heller Aufregung.
    »Wir kriegen das hin, ja, wir kriegen das hin!«, lachte Cyril.

49
    Manhattan, 1927
    »Na los, Nigger!«, brüllte Cyril vom Dach eines gewaltigen Mietshauses an der 125th Street. »Das würde ja sogar ein Weißer schaffen! Na los, Nigger!«
    Das Stahlseil, das Karl aus der Eisenwarenhandlung seines Vaters besorgt hatte, war an einem Metallgerüst in Form einer länglichen Pyramide festgehakt. Das Gerüst – bestehend aus vertikalen, horizontalen und quer verlaufenden Eisenstangen, die mit durchgehenden Schrauben und Bolzen aneinander befestigt waren – knarzte bedrohlich, während die zehn schwarzen Arbeiter, die Cyril angeheuert hatte, versuchten, es auf das Dach zu hieven, und dabei vor lauter Anstrengung wie Stiere schnauften.
    »Na los, Nigger!«, trieb Cyril sie weiter an. Er hatte einen ganzen Monat an dem Gerüst gebaut, und heute sollte es endlich aufgestellt werden.
    Christmas und Karl verfolgten die Aktion vom Bürgersteig aus, umringt von einem kleinen Pulk schwarzer Schaulustiger aus dem Viertel. Unter ihnen war auch Maria, die sich, gespannt wie alle anderen, an Christmas’ Arm klammerte und den Atem anhielt.
    »Warum habt ihr es nicht auf dem Dach aufgebaut?«, wollte sie von Christmas wissen.
    »Weil Cyril noch sturer ist als ein Maultier«, brummte Karl und trat gegen einen Asphaltklumpen, den der Frost herausgebrochen hatte.
    »Gehen wir rauf«, sagte Christmas und wandte sich zur Haustür. Während er mit Maria und Karl die fünf Stockwerke der Mietskaserne hinaufstieg, verhakte sich das Metallgerüst an der Unterkante des Dachgesimses.
    »Na los, Nigger!«, brüllte Cyril.
    Mit aller Kraft zogen die zehn Schwarzen am Stahlseil.
    Das Gerüst schlug gegen die Zierfriese und ließ Gips und Mörtel auf die Menge auf der Straße hinabbröckeln.
    »Wir schaffen es nicht!«, rief einer der zehn Schwarzen mit vor Erschöpfung brüchiger Stimme.
    »Muss ich euch etwa auspeitschen, wie es die Sklavenhalter mit euren Großvätern getan haben?«, schimpfte Cyril. »Gebt nicht auf! Gebt jetzt nicht auf! Wir haben es doch gleich geschafft!«
    Christmas und Karl schlossen sich den Männern an und zogen, so fest sie konnten. Erneut begann das Gerüst zu knarzen, es bäumte sich auf und kippte dann mit der Spitze nach unten.
    Die Zuschauer unten auf dem Bürgersteig schrien besorgt auf.
    Das Gerüst schwankte wieder hin und her, und für eine Sekunde rutschte den Männern das Seil aus den Händen. Zwei von ihnen stürzten, vom Gewicht des Gerüstes mitgerissen, zu Boden. Während es den anderen gelang, das Seil wieder festzuhalten, spürte Christmas in den Handflächen einen brennenden Schmerz. Er schrie auf, ließ jedoch nicht los. Das Seil färbte sich rot.
    »Na los, versucht es noch einmal!«, befahl Cyril. »Ich zähle bis drei. Alle zusammen.«
    Die beiden Männer, die gestürzt waren, standen wieder auf und griffen nach dem Seil.
    »Eins ... zwei ... drei!«, brüllte Cyril. »Jetzt! Mit aller Kraft, Nigger!«
    Das Seil bewegte sich mit einem Ruck. Das Gerüst hob sich, blieb jedoch erneut bedrohlich schwankend am Dachgesims hängen.
    »Wir können das unmöglich schaffen!«, sagte einer der Arbeiter, dem die Strapazen ins trotz der Kälte schweißnasse Gesicht geschrieben standen.
    »Lassen wir es wieder runter«, keuchte ein anderer.
    »Nein!«, brüllte Cyril.
    »Sie schaffen es nicht, Cyril!«, schrie Karl außer sich.
    Cyril blickte sich suchend um. »Binden wir das Seil um den Schornstein da drüben«, schlug er vor. »Ihr ruht euch kurz aus, und dann machen wir weiter.«
    »Seilklemme und Dreiundzwanziger-Schraubenschlüssel«, sagte Karl.
    Nachdem die Arbeiter das Seil um den Zementturm herumgeführt hatten, schraubte einer der Männer es in der Klemme fest. Keuchend ließen sich daraufhin alle auf den Teerboden des Daches fallen.
    Christmas betrachtete seine blutenden Hände. Maria riss ein Taschentuch entzwei und

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