Der Junge, der Träume schenkte
sich mit einem Mal so unbehaglich, als hätte er Ruth verraten.
Schnell schrieb er die Szene zu Ende, zog das Blatt aus der Underwood und legte es zu dem anderen. Dann verließ er die Wohnung und machte sich auf den Weg zur 125th Street. Es war Zeit für die Sendung. Doch er vermied es, quer durch den Park zu gehen. Das Unbehagen war noch immer da. Er zuckte mit den Schultern. Er hatte nun eine Aufgabe, sagte er sich, er schrieb fürs Theater. Er konnte nicht länger seine Gedanken an das verschwenden, was nicht mehr war. Nicht er hatte es so gewollt. Er hatte Ruth gesucht, er hatte sie mit einer Beständigkeit begehrt, die niemand sonst aufgebracht hätte. Sie war es, die ihn weggeschickt und verraten hatte. Er, Christmas Luminita, war nun ein berühmter, bedeutender, wohlhabender Mann, der haufenweise Fanpost bekam. Er musste sich um sich selbst, um seine Karriere kümmern. Um sein Leben. Er musste seinen eigenen Weg gehen.
»Wie fandet ihr es?«, fragte er nach der Sendung seine Partner mit einem triumphierenden Lächeln.
»Du bist ein bisschen eingerostet«, urteilte Karl.
Christmas erstarrte. »Was soll denn das heißen?«
»Es klang irgendwie ... mechanisch«, erklärte Karl. »Wie auswendig gelernt ... ich meine, als ob ...«
»Wie kommst du auf diesen Blödsinn? Ich fand die Sendung toll«, warf Christmas aggressiv ein.
»Ich will damit sagen, es ist, als ob ... du dich selbst nachäffen würdest.«
Christmas erhob sich von seinem Stuhl. »Du kannst mich mal, Karl. Spiel mir hier nicht den Programmdirektor.« Ein nervöses Kichern entfuhr ihm. Er schüttelte den Kopf. »Was zum Teufel soll das heißen, ich äffe mich selbst nach?«, fragte er abermals und blickte zu Cyril. »Hast du das gehört? Mich selbst nachäffen. Scheiße noch mal, ich bin ich selbst. Die Sendung war toll, ich hatte die Leute im Griff, ich konnte sie förmlich spüren. Stimmt’s, oder stimmt’s nicht, Cyril? Was zum Teufel heißt, ich äffe mich selbst nach?«
Cyril seufzte. »Willst du das wirklich wissen?«
Christmas runzelte die Stirn. Selbstgefällig grinsend breitete er dann die Arme aus. »Na los, erklär’s mir!«
»Das heißt, dass du geklungen hast wie ein aufgeblasener Fatzke«, sagte Cyril.
Reglos stand Christmas da, wie versteinert. Aber nur für einen Moment. Dann spürte er, wie Cyrils Worte an ihm abprallten, als hätte er eine Rüstung angelegt. Er lachte hochmütig. Mit einem Mal wurde er ernst. Ein kalter Ausdruck verhärtete seine Gesichtszüge, während er fuchtelnd erst auf Karl und dann auf Cyril zeigte. »Ihr beide solltet eins nie vergessen. Ohne mich ...«
»Sag es nicht, Junge«, fiel ihm Cyril ins Wort.
Christmas hielt inne, den Zeigefinger noch immer drohend erhoben.
»Sag es nicht«, wiederholte Cyril. Sein Blick war voll wohlmeinender Strenge.
Christmas wich einen Schritt zurück. Er ließ die Hand sinken. Ein sarkastisches Lächeln trat auf sein Gesicht. Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch dann drehte er sich um und verließ das Studio.
Auf der Straße stand ein klappriges Ford T-Modell, das er kannte. »Santo!«, sagte er mit aufgesetzter Freude, als er die Fahrertür öffnete. »Was machst du denn hier?«
»Ich bin gekommen, um dir Hallo zu sagen, Chef.« Santo klopfte mit der Hand auf das Lenkrad. »Mensch, du weißt ja gar nicht, wie sehr mir unsere Entführungen fehlen.«
Christmas hatte die Ellbogen auf das Wagendach gestützt und lachte. »Ja, jetzt stehen die Leute gleich hier unten Schlange, um in der Sendung meine Gäste zu sein.«
Santo lächelte stolz. »Du bist ein echter Boss.«
»Hast du die Sendung heute gehört?«
»Nein, ich war noch auf der Arbeit, tut mir leid. Aber Carmelina bestimmt, sie ...«
»Es war eine tolle Sendung«, unterbrach Christmas ihn. »Ich hatte die Hörer im Griff.«
Bewundernd sah Santo ihn an. »Wusstest du, dass ich ein Haus gekauft habe?«
»Ach ...«, gab Christmas zerstreut zurück.
»In Brooklyn. Es wird eine Weile dauern, bis ich es abbezahlt habe, aber es ist ein schönes Haus. Zwei Etagen.«
»Gut gemacht ...«
»Möchtest du es sehen?«, fragte Santo aufgeregt. »Möchtest du mit uns zu Abend essen? Carmelina würde sich riesig freuen.«
»Nein, ich ...«
»Komm schon, Chef. Italienische Küche.«
»Nein, Santo.« Christmas nahm die Arme vom Wagendach und vergrub die Hände in den Taschen. »Ich muss ein paar Leute treffen, leider«, log er. »Du weißt schon, Leute aus dem Showgeschäft.«
Auf Santos Gesicht
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