Der Junge, der Träume schenkte
auslachen. Sie würden ihn fesseln, der Polizei übergeben. Und man würde ihn auf den Stuhl setzen, die Lederriemen festzurren und die Kalotte auf seinen Schädel drücken. Das ist er!, würde Ruth schreien und den Schalter umlegen, um ihm den Stromstoß zu geben. Und der Punisher würde sterben, verbrutzeln, die Hände um die Armlehnen gekrallt. Sein Hirn würde kochen. Wie in den Albträumen.
Unmittelbar hinter Bill drückte ein Fotograf auf den Auslöser. Das explodierende Magnesium sprengte die Stille in Bills Kopf; mit weit aufgerissenen Augen fuhr er herum. Er streckte den Fotograf mit der Faust nieder. Nun starrten alle in seine Richtung. Und niemand lachte mehr.
Bill wandte sich um und blickte zu Ruth. Und noch immer sah sie ihn an und grinste. Er war sicher, Ruth grinste, eine grauenhafte Fratze. Wie in seinen Albträumen. Alles war genau so wie in seinen Albträumen.
Bill sah, wie ein weibisch wirkender Typ mit schmalen Augenbrauen und platinblond gefärbten Haaren auf ihn zukam. Bill hob die Faust. Der platinblonde Typ schrie auf und hielt schützend die Hand vor sein Gesicht. Bill stieß ihn zu Boden. Dann drängte er sich zwischen den reichen Scheißkerlen hindurch und rannte davon.
Ruth erkannte ihn sofort.
Sie glaubte, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Eine Welle der Panik brach über sie herein.
Bill sah sie an. Und auch er hatte sie wiedererkannt, sie las es in seinen Augen.
Das so lange gefürchtete Aufeinandertreffen. Der Mann aus ihren Albträumen. Die Vergangenheit hatte sie eingeholt und riss sie aufs Neue in ihren Strudel. Ruth spürte einen stechenden Schmerz im Stumpf ihres Fingers. Sie fürchtete, er könnte wieder zu bluten anfangen.
Bill sah sie mit grimmiger Miene an.
Opfer und Jäger hatten sich wiedererkannt. Und es war, als gäbe es in dem überfüllten Saal nur sie beide.
Ruth fühlte sich wie in einem Klammergriff gefangen. Bills Hände. Die Hände, die sie in jener Nacht am Boden des Pritschenwagens festgehalten hatten. Die Hände, die sie überall angefasst und geschlagen hatten, bis sie geblutet hatte. Die Hände, die ihr die Lippen aufgeschlagen, ihr Nase und Rippen gebrochen und ein Trommelfell zertrümmert hatten. Die Hände, die zur Schere gegriffen und sie verstümmelt hatten. Die ihr Leben beschmutzt und gezeichnet hatten. Und die lebendigen, brutalen Bilder, die sie heraufbeschwor, machten sie ebenso bewegungsunfähig wie damals Bills Hände und ließen ihr keine Chance zu fliehen und der Erniedrigung und der Gewalt zu entkommen.
Zwischen einem Blitzlicht und dem nächsten sah Ruth zu Bill hinüber, unfähig zu schreien, zu weinen, wegzulaufen. Sie konnte nichts anderes tun, als dazustehen und ihm, vor Angst erstarrt, in die Augen zu blicken. Und es war, als könnte sie seinen Alkoholatem riechen, als spürte sie seinen glühenden Körper in ihrem, als hätte sie nur seine Stimme im Ohr. Und dieses schreckliche Lachen.
Bill sah sie noch immer an und in seinen Augen erkannte Ruth all seine Kraft, die Macht, die er über sie besaß.
Nervenaufreibend langsam und fast ohne es zu merken, griff sie nach Barrymores Jackenärmel. Doch kaum spürte sie den leichten, weichen Stoff zwischen den Fingern, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Ich kann mich bewegen, schoss es ihr durch den Kopf. Ich kann mich noch bewegen.
Vielleicht konnte sie auch weglaufen. Vielleicht konnte sie sich umdrehen, sich Bills unmenschlichem Blick entziehen. Dann könnte sie all ihren Mut oder zumindest ein wenig Erbitterung zusammennehmen und Bill den Leuten vorführen. Ihn verhaften lassen. Sie könnte Rache üben. Sie könnte ihn endlich bezwingen. Wenn sie es nur schaffte, sich für einen Moment, einen einzigen Moment, diesem erbarmungslosen Blick zu entziehen.
Doch sie war zu nichts anderem imstande, als sich an Barrymores Ärmel zu klammern und stehen zu bleiben, während überall Blitzlichter aufflammten und mit ihrem gleißenden Schein für einen kurzen Augenblick Bills Gesicht auslöschten. Aber er war da, wusste Ruth, und er starrte sie an. Er hielt sie fest, als wäre sie sein.
Da plötzlich sah sie, wie Bill sich nach einem Blitzlicht umdrehte. Sie beobachtete, wie er einen Fotografen schlug, sich auf den herbeieilenden Blyth warf und davonstürzte.
Er rannte weg. Bill rannte weg.
Ruth stellte sich auf die Zehenspitzen und sah zu, wie Bill versuchte, sich einen Weg durch die Gästeschar zu bahnen. Am Ausgang des Saales drehte er sich
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