Der Junge, der Träume schenkte
Jahre alten Whiskys in dem Speakeasy gekauft, der Kneipe, in der er am Vorabend hatte anschreiben lassen. Der Laden war ein illegaler Umschlagplatz, in dem Kleinganoven verkehrten, Männer, die im Auftrag des Syndikats kleinere Schutzgelder oder Mieten für Glücksspielautomaten eintrieben. Egal, wie groß und kräftig sie auch waren, sie sahen alle aus wie Ratten. Und wie Ratten lebten sie von und in der Kanalisation. Bill aber kam sich wichtig vor, wenn er in dem Speakeasy verkehrte; dann fühlte er sich als einer von ihnen, hartgesotten und mit allen Wassern gewaschen. Bill kannte noch andere Läden, die geschmuggelten Alkohol verkauften, sogar zu einem günstigeren Preis, aber er stand gern Schulter an Schulter mit Kerlen, denen eine Pistole aus dem Hosenbund ragte.
Nachdem er den Kasten Bier und die Flasche Whisky gekauft hatte, hatte er sich die ganze Nacht und den ganzen folgenden Tag lang versteckt. In Brooklyn Heights hatte er eine abgelegene Stelle gefunden, von wo aus er auf die mächtigen Brücken aus Eisen und Stahl blicken konnte, die die beiden Flussufer aneinanderzuklammern schienen. Mit der Gartenschere hatte er einige Laubzweige geschnitten und den Pritschenwagen damit getarnt. In das Blut der kleinen Jüdin, das noch an den Klingen haftete, hatte sich der Saft der Baumrinde gemischt. Da lachte Bill. Und lauschte. Wachsam, als hätte er etwas gehört. Da war etwas in seinem Lachen, das anders geklungen hatte. Erneut versuchte er zu lachen, und wieder hörte er es. Etwas fehlte. Und da, erst da, bekam er Angst vor dem, was er getan hatte.
Er trank das erste Bier und ein paar Schluck Whisky. Am liebsten hätte er ein Feuer entfacht, um sich zu wärmen und um ein wenig Licht zu haben. Als kleiner Junge hatte er im Dunkeln immer Angst gehabt, denn er hatte nie sicher sein können, aus welcher Richtung sein Vater auf ihn zukommen würde. Ihn dabei zu beobachten, wie er den Gürtel aus den Schlaufen seiner Hose zog und um seine Faust wickelte, war da weniger Furcht einflößend gewesen. Am schlimmsten waren die Dunkelheit und die Ungewissheit gewesen. Und so zückte Bill jetzt sein Benzinfeuerzeug und hielt einen trockenen Zweig in die Flamme. Ein solches Licht ist nicht zu sehen, sagte er sich, als er die zweite Flasche Bier öffnete, und lachte. Wieder lauschte er auf der Suche nach dem fehlenden Etwas. Und es schien wieder da zu sein. Nicht ganz, aber ein bisschen. Als wäre ein Teil seiner selbst wieder da. Da lachte Bill zuversichtlicher, in der Hand einen weiteren brennenden Zweig, der ein wenig Licht in die Furcht einflößende Finsternis ringsum brachte.
Als es dämmerte, hatte Bill – nach dem vierten Bier und einer halben Flasche Whisky – sein Lachen beinahe vollständig wiedergefunden, und die Dunkelheit war vorüber. Er kletterte in den Pritschenwagen und streckte sich auf dem Sitz aus. Als er den Kopf ablegte, war ihm, als stiege ihm der frische Duft der Jüdin in die Nase. Da holte er das Geld und den Smaragdring hervor. Vierzehn Dollar und zwanzig Cent, ein Vermögen. Dann betrachtete er den Ring von allen Seiten. Ein Kranz aus kleinen Diamanten rings um den großen Smaragd fing die ersten Sonnenstrahlen ein, die durch die Laubzweige sickerten, unter denen der Pritschenwagen verborgen war. Bill versuchte, sich den Ring anzustecken, aber seine Finger waren zu dick, sogar der kleine Finger. Mit Mühe gelang es ihm, das erste Fingerglied hindurchzuzwängen. Komisch sah das aus. Bill lachte – er fand dabei zu seinem alten Lachen zurück, erkannte es vollständig wieder – und schloss dann die Augen, den Geruch der Jüdin in der Nase. Seine Fingerknöchel schmerzten ein wenig. Er leckte über die Schürfwunden. Anscheinend habe ich ihre Zähne erwischt, dachte er leise lachend, bevor er schließlich einschlief. Es war nicht mehr Nacht. Es war nicht länger dunkel. Er musste keine Angst mehr haben.
Als Bill erwachte, war es wieder Abend. Wieder umgab ihn Dunkelheit. Er sah nichts als die Lichter der Stadt, jenseits des East River. Bill betrachtete den Ring mit dem großen Smaragd und dem Diamantenkranz an seinem kleinen Finger. Er wollte lachen, verkniff es sich jedoch, denn er befürchtete, abermals zu hören, dass etwas fehlte. Nun aber wusste er, was er dagegen tun konnte. Er stieg aus dem Wagen und öffnete eine Flasche Bier. In einem Zug trank er sie halb leer, bevor er einen großzügigen Schluck aus der Whiskyflasche nahm. Nie zuvor hatte er einen zwölf Jahre alten Whisky
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