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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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getrunken. Den konnten sich nur Reiche leisten. Schließlich leerte er die Bierflasche ganz, rülpste und lachte. Ja, das war sein Lachen. Nach einem weiteren Schluck Whisky lachte er erneut, schallend und aus vollem Hals.
    Sieben Flaschen Bier und nicht ganz eine halbe Flasche Whisky waren noch übrig. Er leerte hintereinander zwei Bierflaschen und schleuderte sie in Richtung des Flusses, der Brücke und der vielen bunten Lichter.
    »Ich komme!«, brüllte er der Stadt entgegen. »Ich komm dich holen!«
    Er befreite den Pritschenwagen von den Laubzweigen, mit denen er getarnt war, startete den Motor und fuhr los. Im Scheinwerferlicht der Autos leuchteten die Verstrebungen der großen Brücke auf. Und die Stadt zeigte sich in all ihrer Furcht erregenden Schönheit. Die Stadt des Geldes, dachte Bill und blickte auf seinen kleinen Finger, an dem der Ring grün und in allen Farben des Regenbogens schimmerte.
    »Ich komm dich holen«, sagte er noch einmal, jedoch mit gedämpfter Stimme, fast drohend, und der trübe, finstere, erloschene Ausdruck kehrte in seinen Blick zurück. Er öffnete eine Flasche Bier. Und noch eine. Und als er das letzte Bier ausgetrunken hatte, leerte er die Whiskyflasche. Dann lachte er, und der Klang, dem nichts fehlte, berauschte ihn.
    Nachdem er den Wagen in einer schwach beleuchteten Gegend von South Seaport abgestellt hatte, machte er sich zu Fuß auf den Heimweg. Er bog in eine schmale Gasse ein, in der es ekelerregend nach Fischmarktabfällen roch. Von dort kletterte er über einen Holzzaun in einen Hinterhof. Während er einer vom Frost zersetzten alten Ziegelmauer folgte, gelangte er an ein Metallgitter. Er zog sich an ihm hoch und schwang sich auf die andere Seite. Durch den vielen Alkohol verlor er das Gleichgewicht und stürzte. Leise lachend rappelte er sich hoch und vergewisserte sich, dass der Ring noch an seinem Finger steckte. Auch das Geld befand sich noch in seiner Tasche. Die Arme wie ein Hochseilakrobat ausgebreitet, setzte er dann seinen Weg über ein niedriges Mäuerchen fort und erreichte von dort mit einem Sprung eine Feuerleiter. Kurz darauf stieß er das Fenster im dritten Stock auf und schlüpfte, ohne ein Geräusch zu verursachen, in die Wohnung.
    Außer Atem hockte er sich in eine Ecke und grinste. Den Weg hatte er zuletzt als verängstigter kleiner Junge genommen, wenn er nachts von zu Hause weggelaufen war. Aber ihm war, als wäre es gestern gewesen.
    »Wer ist da?«, fragte eine raue Stimme lallend.
    Erneut bekam Bill Lust, etwas zu trinken.
    Im Zimmer nebenan klirrte Glas gegen Glas. Dort würde er zweifellos etwas zu trinken finden. Bill stand auf.
    »Ich hab nebenan was gehört«, tönte die raue, kalte, unangenehme Stimme. »Geh mal nachsehen, blöde Judenschlampe!«
    »Nicht nötig, Pa«, sagte Bill da und trat ins Zimmer.
    Der Mann saß zusammengesunken in einem Sessel, dessen schmutziger grüner Samtbezug verblichen und an den Armlehnen abgewetzt war. In der Hand hielt er ein halb volles Glas Branntwein. Die Flasche stand griffbereit neben dem Sessel. Eine Flasche ohne Etikett. Kein guter Schmuggelwhisky, sondern Blue Ruin, der minderwertigste Fusel, der unter der Hand auf dem Fischmarkt gehandelt wurde. Eine weitere Flasche lag auf dem Boden. Leer. Als der Mann Bill erblickte, nahm er einen Schluck Branntwein und fragte: »Scheiße, was zum Teufel willst du denn hier?«
    »Ich will auch was trinken«, sagte Bill.
    »Dann kauf dir was!«
    Bill lachte. Er holte alles Geld, das er hatte, aus der Tasche und schleuderte es seinem Vater entgegen. »So, jetzt hab ich’s mir gekauft«, sagte er und bückte sich nach der Flasche Blue Ruin.
    Sein Vater schlug ihm ins Gesicht.
    Bill reagierte nicht. Er zog den Korken aus dem Flaschenhals und nahm einen großen Schluck. Angewidert fuhr er sich dann mit der Hand über den Mund. Mit Daumen und Zeigefinger nahm er etwas Durchsichtiges auf und schnippte es auf den Boden. »Fisch. Wie ekelhaft«, bemerkte er. »Überall verlierst du Schuppen.«
    In dem Moment betrat eine kleine, dünne, ausgezehrt wirkende Frau den Raum. Sie hatte schwermütig dreinblickende große, schwarze Augen und hervorstehende Wangenknochen, über denen die olivfarbene Haut spannte. Den Morgenrock, den sie trug, kannte Bill seit Jahren, doch an ihrem Kiefer prangte ein neuer blauer Fleck, den Bill noch nicht gesehen hatte.
    »Ma«, sagte er, die Flasche in der Hand.
    »Bill!«, rief die Frau und lief zu ihrem Jungen, um ihn in die Arme zu

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