Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
Vom Netzwerk:
taumelnd in Sicherheit zu bringen suchte.
    Ich bin erledigt, dachte er.
    Doch gleich darauf stürzten seine Freunde aus dem Diner herbei und erwiderten das Feuer. Der schwarze Wagen geriet ins Schleudern, raste auf den gegenüberliegenden Bürgersteig, riss zwei schreckensstarr kreischende Frauen mit und drückte sie gegen die Mauer, bevor er in das Schaufenster eines Friseurladens krachte.
    Sals Freunde rannten zu dem Wagen hinüber. Silver, ein Zuhälter, der trotz seiner erst dreißig Jahre bereits schlohweißes Haar hatte, erreichte ihn als Erster. Er zerrte einen der Attentäter, der schützend die Arme vor seinen Kopf hielt, aus dem Auto, zog ihn ein Stück zur Seite und schoss ihm in den Kopf. Unterdessen feuerten die anderen ins Wageninnere.
    Sal ging wankend auf den Friseurladen zu, vorbei an den beiden Frauen, die der Wagen mitgerissen hatte. Die hatte kein Gesicht mehr, die andere lag mit zertrümmerten Knien da, die Beine makaber verdreht. Sie würgte einen Schwall Blut hervor und schloss dann mit einem Zucken die Augen. Im Wageninneren sah Sal nun zwei von Schüssen zersiebte Leichen, am Boden die dritte. Der Friseur im Laden schrie aus Leibeskräften; er war blutüberströmt. Die Scherben der zerborstenen Scheibe hatten seine Haut aufgerissen.
    »Diese Judenschweine«, sagte Silver. »Sie schicken Kinder los.«
    Sal erkannte, dass die drei Toten noch keine fünfzehn Jahre alt waren. Der, den Silver erschossen hatte, hatte ein klaffendes Loch dort, wo die Kugel ihm das linke Auge zerschmettert hatte. Tränenspuren glitzerten auf seinen Wangen und vermischten sich mit dem Blut, das aus seiner Wunde rann.
    Dann wurde alles schwarz um Sal, und er verlor das Bewusstsein.
    »Hast du noch immer Schmerzen?«, fragte Cetta sechs Monate später, als sie sah, wie Sal den Arm nach einem Glas ausstreckte und gequält den Mund verzog.
    »Ich hoffe, ich habe Schmerzen, solange ich lebe. So vergesse ich nie wieder meine Pistole bei einer Nutte«, entgegnete er grob wie immer.
    Seit dem Tag der Schießerei hatte sich zweierlei für Sal verändert. Zum einen hatte der Gangsterboss Vince Salemme, der als Sieger aus dem Krieg hervorgegangen war, Sal und Silver »befördert«. Sal hatte er neben der Leitung des Bordells die einer neuen Spielhölle anvertraut, die von allen klangvoll als Clubhouse bezeichnet wurde und die an der Ecke, wo die 3rd und die 4th Avenue in die Bowery münden, eröffnet worden war. Silver hingegen gehörte nun zu den Männern, die den Finger schnell am Abzug hatten, und war vom Zuhälter zum Auftragskiller aufgestiegen.
    Das andere, das sich verändert hatte, war Sals Wesen. Seit jenem Tag hatte er Angst. Er war regelrecht paranoid. Ständig vergewisserte er sich, dass seine Pistole auch geladen war; unentwegt ließ er seinen Blick schweifen oder wandte sich ruckartig um, weil er wissen wollte, was hinter seinem Rücken vor sich ging. Vor allem aber hatte er nicht mehr denselben Blick wie zuvor. Der Schulterdurchschuss, der ihm den Kopf des Oberarmknochens zersplittert hatte, hatte ihn zwar nicht zum Krüppel gemacht, doch er hatte eine Wunde in seine Seele gerissen, die sich, anders als die Fleischwunde, nicht wieder schließen wollte. Diese Wunde schwärte und sonderte Anspannung, Furcht und Sorge ab. Verwundet durch drei Kinder, dachte Sal jede Nacht vor dem Einschlafen grimmig.
    Fortwährend hielt er sich seine Unachtsamkeit, die ihn das Leben hätte kosten können, vor Augen – und machte sie Cetta scharf zum Vorwurf. Andererseits führte ihn seine neue Schwäche immer häufiger in die Arme seiner Geliebten. Die Leitung der Spielhölle schränkte seine freie Zeit drastisch ein. Doch Sal riss sich ein Bein aus, damit er Cetta jeden Morgen von zu Hause abholen und zum Bordell fahren konnte, als schwebte auch sie seit jenem Tag in Gefahr. Und am Abend ließ er das Clubhouse für eine Weile unbeaufsichtigt, um sie wieder abzuholen. Manchmal fuhr er sie nach Hause, ein anderes Mal nahm er sie mit in die Spielhölle. Und jeden Sonntagmittag richtete er es ein, dass er bei Cetta und Christmas essen konnte. So kam es, dass ihre Beziehung innerhalb weniger Monate die Züge einer Ehe annahm.
    Christmas blühte immer mehr auf. Und er begann, sein kleines Herz an Sal zu hängen, der diese Gefühle erwiderte, wenn auch auf seine Weise. Immer wieder ertappte sich Cetta dabei, wie sie die beiden gerührt beobachtete. Und voller Dankbarkeit registrierte sie die Verwandlung ihres Mannes, der weder besser noch

Weitere Kostenlose Bücher