Der Junge, der Träume schenkte
erstarrte.
»Der Junge sieht dir gar nicht ähnlich«, sagte der Anwalt. »Ich habe ihn gesehen, er ist blond.«
»Er ist nicht mein Sohn«, erwiderte Sal, in die Defensive gedrängt. Ihm war völlig klar, was da vor sich ging.
»Er heißt wie ein Nigger und ist blond wie ein Ire, der kleine Bastard.«
»Der Junge ist mir scheißegal«, behauptete Sal.
Der Anwalt lachte leise. Offenbar glaubte er ihm nicht. Immer noch grinsend, sagte er dann: »Diese Nutte muss dir einiges bedeuten, wenn du die Kaution für sie bezahlst.«
»Sie sollten als Auftragskiller arbeiten, nicht als Anwalt. Sie haben Talent dafür«, bemerkte Sal.
Wieder lachte der Anwalt, dieses Mal zufrieden. »Ich werde es mir überlegen, danke für den Rat.« Daraufhin näherte er sich wieder dem Gitter, nicht jedoch, weil er etwas Geheimes zu sagen hatte. Er musste dafür sorgen, dass die Botschaft auch ankam, obgleich er eigentlich nicht daran zweifelte, denn er war von seinen eigenen Fähigkeiten sehr überzeugt und Sal Tropea weniger schwer von Begriff als die Handlanger, denen er gewöhnlich Drohungen überbrachte. Außerdem gefiel es Di Stefano, Leuten zu drohen. Es war, als feuerte er aus einer Pistole. Dabei floss zwar kein Blut, aber der Schmerz in den Augen seines Gegenübers entschädigte ihn dafür und verriet, wenn er getroffen hatte. »Der Boss hat beschlossen, dir die Kaution, die du für die Nutte bezahlt hast, zu erstatten«, sagte er. »Da sie dir so am Herzen liegt, wird er sich um sie kümmern, solange du Urlaub machst.«
Sal schwieg.
»Wir sind eine Familie, oder etwa nicht?«, sagte der Anwalt.
Sal nickte.
»Ich sorge dafür, dass sie dich hier in der Nähe einquartieren, dann kann deine Hübsche dich besuchen, wann immer sie will«, versprach der Anwalt, dann drehte er sich um und ging.
Noch am gleichen Tag wurde Sal zusammengeschlagen. In der Nacht waren seine Lippen so sehr geschwollen, dass er aus Furcht, er könnte im Schlaf ersticken, die ganze Zeit wach blieb. Am Morgen bemerkte er den Sonnenaufgang nicht, weil seine Lider so dick waren, dass er die Augen nicht öffnen konnte. Und er schmeckte nichts von dem wenigen, das man ihm zu essen und zu trinken gab, da alles sofort den Geschmack von Blut annahm. Als Nächstes boten sie ihm einen Strafnachlass an, schließlich sogar die Freiheit. Doch Sal schwieg zu allem. Zehn Tage später verurteilte man ihn, zog ihn aus und steckte ihn in einen Sträflingsanzug.
Der Anwalt Di Stefano hielt Wort. Sal wurde nicht nach Sing-Sing verlegt – wie das Urteil es verlangte –, sondern in die Strafanstalt auf Blackwell’s Island, im East River, zwischen Manhattan und Queens.
Als Sal in der darauffolgenden Woche im Besuchsraum Cetta gegenübersaß, war sein Gesicht noch immer gezeichnet.
»Wenn ich hier rauskomme, werde ich noch hässlicher sein«, sagte er.
Doch das war Cetta gleichgültig. Sie wusste nun, dass Sal keine Angst mehr hatte. Dass er wieder der Alte war. Der die armseligen Waren eines fliegenden Händlers unter seinen Reifen zerquetschte, bloß weil sie, Cetta, ihm ein Lächeln geschenkt hatte. Und im Stillen dankte sie der Jungfrau Maria, dass sie ihr Gebet erhört hatte.
Sal zog eine Grimasse und legte die Hände an das Gitter, das sie voneinander trennte. »Ich wusste doch, es bringt Unglück, wenn ich sie mir wasche«, sagte er.
19
Ellis Island, 1922
Das Wasser war eiskalt. Es ließ einem den Atem stocken. Bill klammerte sich an einem verwitterten, von Algen überzogenen Holzpfahl fest, um nicht unterzugehen. Er war nackt. Seine Zähne klapperten aufeinander, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Seine Beine spürte er längst nicht mehr.
Doch die Fähre der Einwanderungsbehörde war nun nicht mehr weit. Mit einem langen Sirenenton hatte sie sich angekündigt. Bill konnte sie bereits sehen. Er musste nur noch ein wenig durchhalten.
Schon als er in jener Nacht seinen Plan geschmiedet hatte, war er sich darüber im Klaren gewesen, dass es sehr schwer für ihn werden würde. Aber er wusste keinen anderen Weg. Wenn er überleben wollte, musste er die eisigen Qualen im Wasser durchstehen.
Alle Zeitungen der Stadt berichteten über den blutrünstigen Mord am Ehepaar Hofflund. Und über die Vergewaltigung der kleinen Judenschlampe. Die Kollegen vom Fischmarkt beschrieben Bills Vater als ehrlichen Arbeiter. Ein Haufen erbärmlicher Säufer, die sicherlich genau wie sein Vater die Abende damit verbringen, ihre Frauen und Kinder mit dem Gürtel
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