Der Junge, der Träume schenkte
Arm.
»Sticky!«, rief in dem Moment Chick, der ängstlich hüpfend danebengestanden und zugesehen hatte.
»Hab ich euch erwischt, ihr verfluchten Schwanzlutscher!«, brüllte ein kleiner, stämmiger Mann um die dreißig mit dem Gesicht eines Boxers, der, mit einer Pistole in der Hand und gefolgt von zwei ebenfalls bewaffneten finsteren Gestalten, aus dem Hinterausgang gelaufen kam.
»Renn weg!«, schrie Joey Christmas zu, während bereits die ersten Schüsse fielen und die einschlagenden Kugeln im Hof Erde und Staub aufwirbelten.
Joey schaffte es als Erster, sich durch das Loch im Zaun zu zwängen. Christmas erreichte den Durchschlupf gemeinsam mit Chick. In seiner Panik stieß er ihn zur Seite und rettete sich auf die Straße. Chick, der durch Christmas’ Stoß ins Stolpern geraten war, rappelte sich wieder hoch und begann plötzlich zu schreien. Dann brach er zusammen. Christmas drehte sich um. Sein Blick traf auf Chicks schreckgeweitete Augen. Da machte er kehrt, streckte den Arm nach Chick aus und zog ihn, während die Kugeln die Wand neben ihm zersplitterten, durch das Zaunloch.
»Ich schaff es nicht«, wimmerte Chick.
In dem Augenblick kam auch Joey zurück, packte den Verletzten am Arm und zog ihn vom Boden hoch. »Lauf, Chick, oder ich bin es, der dich umbringt!«, brüllte er. Christmas hakte den Jungen auf der anderen Seite unter, und so rannten sie zu dritt Arm in Arm los, während der Kerl mit dem Boxergesicht sich fluchend in den zerschnittenen Maschen des Drahtzauns verfing.
Die drei Jungen waren zwei Häuserblocks weit gekommen, als Chick immer schwerer zu werden schien. Keuchend blieben sie in einer dunklen Gasse stehen. Als Christmas und Joey sich ansahen, waren ihre Pupillen vor Angst geweitet, ihre Nasenflügel bebten. Keiner von beiden wagte es jedoch, Chick anzuschauen, der stöhnend zu Boden gesunken war.
»Ich blute«, sagte er und hob eine rote Hand in die Höhe.
Da wandten sich Christmas und Joey ihm zu.
»Verdammt, wo bist du denn verletzt, Nervensäge?«, fragte Joey mit zitternder Stimme.
»Am Bein«, weinte Chick. »Es tut weh ...«
Das Hosenbein des Jungen war vom Knie abwärts voller Blut. Joey zog einen Stofffetzen aus der Tasche, der womöglich einmal ein Taschentuch gewesen war, und band damit knapp oberhalb der Wunde Chicks dünnen Schenkel ab.
»Was tun wir jetzt?«, fragte Christmas erschrocken.
Joey blickte sich um. Er steckte den Kopf aus der Gasse. »Wir bringen ihn zu Big Head«, entschied er. Daraufhin wandte er sich an Chick. »Bis zum Billardsaal musst du laufen, kleiner Scheißer. Wenn du das nicht schaffst, lasse ich dich mitten auf der Straße liegen, und Buggsy macht dich fertig. Ist das klar? Und hör auf zu heulen.«
Chick schluckte und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Seine Augen sehen jetzt aus wie die eines Kindes, dachte Christmas beklommen. Und noch ein Gedanke nahm in seinem Kopf Gestalt an, doch wie um ihn zu verjagen, atmete er tief durch und sagte in hartem, energischem Ton: »Los geht’s, beweg dich, du Mädchen.«
Als sie den Billardsaal in der Sutter Avenue betraten, war Chick weiß wie die Wand. Christmas und Joey mussten ihn die Treppe hinauftragen. Im Saal drehten sich alle Gäste nach ihnen um. Als Gangster waren sie an Blut gewöhnt. Doch Blut zog in den meisten Fällen weiteres Blut nach sich. Und beim Anblick der drei Jungen stellte sich ihnen die Frage, ob es besser war zu gehen oder ob sie ihre Partie zu Ende spielen konnten.
»Was zum Teufel wollt ihr hier?«, brummte ein hässlicher Mann, der an einem Tisch in der Ecke vor einem Würfelspiel saß. Er hatte einen mächtigen, missgebildeten Kopf. Eine Schläfe und ein Teil der Stirn waren dick geschwollen. Aus dem Grund wurde er Big Head genannt.
»Der Maulwurf hat uns verraten«, erklärte Joey außer Atem. »Buggsy war da und hat auf uns gewartet.«
»Ich hatte dir doch gesagt, du sollst den Job allein erledigen. Was wolltest du denn mit Chick, verfluchte Scheiße? Du weißt doch, dass er nichts taugt. Und wer ist der andere Typ?«, fragte Big Head, während er Joey eine mit Narben übersäte Pranke auf die Schulter legte.
»Diamond aus der Lower East Side. Er hat seine eigene Gang.«
Big Head musterte Christmas. »Bist du hergekommen, um Ärger zu machen?«
»Nein, Sir«, antwortete Christmas. »Chick geht es schlecht«, sagte er dann.
»Bring ihn ins Büro, Joey.« Big Head zeigte auf einen kleinen Raum am Ende des Saals. »Hol Zeiger her«, wies er dann einen
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