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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Fotomodell im Polotrikot zeigte. Dann drehte sie das Gesicht des Jungen zur Straße. »Und nun sieh dir den an.« Dabei deutete sie auf einen Straßenhändler, der eben heimkehrte. »Aus dem wird nie ein Amerikaner.« Rasend blätterte sie weiter in der Zeitschrift, völlig beherrscht von der Wut in ihrem Inneren, die einfach nicht nachlassen wollte. Als sie das Bild einer Schauspielerin entdeckte, hielt sie inne. »Das ist eine Amerikanerin«, erklärte sie Christmas. Daraufhin drehte sie sein Gesicht wieder zur Straße. »Und aus der wird nie eine«, sagte sie und zeigte auf eine bucklige Frau, die in den Abfällen der Verkaufsstände wühlte.
    »Mama ...«
    »Hör mir zu! Hör mir gut zu, mein Schatz.« Wie besessen nahm Cetta sein Gesicht in ihre Hände. »Ich werde nie eine Amerikanerin sein. Aber du, du wirst ein Amerikaner. Hast du mich verstanden?«
    »Mama ...« Christmas begann, verstört zu wimmern.
    »Hast du mich verstanden?«, rief Cetta und hörte selbst, dass ihre Stimme einen hysterischen Ton angenommen hatte.
    Mit krausgezogenen Lippen unterdrückte Christmas ein Schluchzen.
    »Du wirst ein Amerikaner sein! Sprich mir nach!«
    Christmas’ Augen waren vor Schreck geweitet.
    »Sprich mir nach!«
    »Ich bin so müde ...«
    »Sprich mir nach!«
    »Ich werde ... ein Amerikaner sein ...«, brachte Christmas leise weinend heraus und versuchte, sich aus den Armen seiner Mutter zu befreien.
    Da drückte Cetta ihn fest an sich, und endlich löste sich ihre Wut, und sie brach in Tränen aus. »Du wirst ein Amerikaner sein, Christmas ... ja, du wirst ein Amerikaner sein ... Verzeih mir, verzeih mir, mein Schatz ...«, weinte Cetta und streichelte ihrem Sohn über das Haar. Sie drückte ihn an sich, trocknete seine Tränen und benetzte sein Haar mit den ihren. »Mama hat dich lieb ... Du bist Mamas Ein und Alles ... ihr Ein und Alles ... Ach, mein kleiner Junge, mein kleiner amerikanischer Junge ...«
    In der Tür stand Signora Sciacca, umringt von ihren Kindern, die mit verschlafenen Gesichtern an ihrem Nachthemd hingen, und beobachtete sie.

25
    Manhattan, 1923
    »Sag diesem kleinen Arschloch, er soll meine Metzgerei sofort verlassen, Christmas«, sagte Pep mit Blick auf Joey.
    Lilliput, Peps Hündin, knurrte Joey, der an der Hintertür lehnte, leise an. Santo stand mit hochrotem Kopf daneben. Er machte auf dem Absatz kehrt und ging hinaus.
    Christmas wandte sich nach Joey um. »Lass uns allein«, forderte er ihn auf, in der Hand eine Blechdose.
    »Du lässt dir von einem alten Mann Befehle geben?«, spottete Joey.
    Da ging Pep mit seiner ganzen Körperfülle auf ihn los. Mit beiden Händen packte er Joey am Kragen seiner zerschlissenen Jacke, hob ihn hoch und warf ihn aus der Metzgerei. Wütend bellte Lilliput ihm hinterher. »Schluss jetzt, Hund!«, brüllte Pep, bevor er die Hintertür mit solcher Wucht zuschlug, dass einige Brocken Putz von den Wänden fielen. Dann drückte Pep Christmas mit einer Hand gegen die Wand. »Was hast du vor, Junge?«, fragte er mit drohend gesenkter Stimme.
    »Pep, beruhige dich. Ich bringe dir die Salbe für Lilliput. Es geht ihr besser, nicht wahr?«
    »Ja, es geht ihr besser«, erwiderte Pep. »Also? Beantworte meine Frage.«
    »Ich habe sie doch beantwortet ...«
    »Ich scheiß auf die Salbe«, sagte Pep und nahm die Hand von Christmas’ Brust.
    Christmas steckte sein Hemd wieder ordentlich in die Hose, bevor er Pep die Dose reichte. »Du schuldest mir nichts.«
    »Ach ja? Und wieso? Bist du plötzlich reich geworden?«
    Christmas zuckte mit den Schultern. »Lilliput ist mir ans Herz gewachsen.« Er griff nach der Klinke und öffnete die Tür.
    Mit Wucht stieß Pep sie wieder zu. »Hör mir zu, Junge«, sagte er und richtete einen mit Tierblut verschmierten Finger auf ihn. »Hör mir gut zu ...«
    »He, alles in Ordnung da drin, Diamond?«, klang von draußen Joeys Stimme zu ihnen herein.
    Pep und Christmas sahen sich schweigend an.
    »Alles in Ordnung«, rief Christmas dann.
    »Er gefällt mir nicht«, sagte Pep und wies mit dem Daumen in Richtung Tür.
    »Er ist mein Freund, nicht deiner«, gab Christmas zurück und sah Pep herausfordernd an. »Er muss mir gefallen.«
    »Ich frage dich noch einmal: Was hast du vor, Junge?«
    »Pep, es ist wirklich schön, mit dir zu plaudern, aber ich muss jetzt gehen«, sagte Christmas. Er wollte sich weder Peps Ermahnungen noch die irgendwelcher anderer Leute anhören. Schließlich war er kein kleiner Junge mehr, sondern

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