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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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befanden. Aus dem Grund hat er nicht viel Zeit für mich, sagte sich Cetta, während sie den Blick über die Menge schweifen ließ.
    »Wo sind denn die Funktionäre?«, erkundigte sie sich bei einem Mann, der von der Gewerkschaft zu sein schien und mit einer roten Binde am Arm vor dem Eingang stand.
    Der Mann musterte sie. »Bist du eine von uns?«
    »Natürlich«, antwortete Cetta stolz, und für einen Moment fühlte sie sich nicht mehr fremd inmitten all der Leute.
    »Entschuldige«, sagte er da. »Es ist nur ... nun ja, unsere Frauen sehen nicht so aufgetakelt aus ... normalerweise.«
    Errötend blickte Cetta an ihrem tief ausgeschnittenen grün-gelb geblümten Kleid hinunter. »Tja, ich normalerweise auch nicht«, sagte sie mit einem beschämten Lächeln.
    »Wen suchst du?«, fragte der Mann. »John, Bill, Carlo oder Elizabeth?«
    »Wen?«
    »Reed, Haywood, Tresca oder Elizabeth Flynn.«
    »Nein, ich suche Andrew Perth«, erklärte Cetta.
    Der Gewerkschafter überlegte kurz. Dann tippte er einem Mann neben sich auf die Schulter. »Sag mal, kennst du einen Andrew Perth?«
    Der Mann schüttelte den Kopf.
    »Weißt du, wer Andrew Perth ist?«, wandte der Gewerkschafter sich an einen anderen, der etwas weiter entfernt stand und ebenfalls eine rote Binde am Arm trug.
    »Andrew Perth?«, gab der zurück. »Ist das nicht einer vom Ortsverein South Seaport?«
    »Keine Ahnung. Die Genossin hier fragt nach ihm.«
    »Er wird drinnen sein. Die von South Seaport sitzen in Loge drei.«
    »Loge drei«, wiederholte Cetta. »Verstanden. Dann gehe ich hinein.«
    »Warte, Genossin«, hielt der Mann sie auf. »Hast du eine Eintrittskarte?«
    Cetta zeigte sie ihm.
    »Ein Ein-Dollar-Platz«, stellte er fest. »Du hättest am Kleid sparen und stattdessen mehr Geld für uns ausgeben können«, setzte er hinzu. Dann streckte er den Arm mit der roten Binde aus und zeigte auf einen Eingang. »Du sitzt da hinten.«
    Cetta drehte sich um und ging in die ihr gewiesene Richtung. Sie hatte keine Ahnung, wer die Leute waren, deren Namen der Gewerkschafter aufgezählt hatte, aber ganz offensichtlich war Andrew nicht der Gewerkschaftsführer.
    Als sie das Theater betrat, verschlug es ihr den Atem. Es war ungeheuer groß. Zumindest kam es ihr so vor. Aber sie hatte keine Ahnung, ob alle Theater so waren. Hinweisschilder trennten, je nach Preis der Eintrittskarte, die man besaß, unterschiedliche Bereiche voneinander ab. Die Ein-Dollar-Zone befand sich fast ganz hinten im Saal. Während sie dort einen freien Platz ansteuerte, ließ sie den Blick erneut umherschweifen. Plötzlich entdeckte sie Andrew in einer Loge für zwanzig Dollar. Er stand an der Brüstung, gestikulierte und rief etwas. Dann klatschte er Beifall. Neben ihm sah Cetta eine Frau, die wie ein Mann gekleidet war. Womöglich hat sie sogar eine Hose an, dachte Cetta. Wie Andrew trug sie eine runde Brille und eine Kappe auf dem Kopf, unter der ihre Haare verschwanden. Aber Cetta wusste, dass sie blond, fein und glatt waren. Ihre Haut war hell, fast durchscheinend. Und sie lächelte Andrew stolz an. Hinter ihnen standen weitere vier Männer und Frauen. Alle gleich angezogen, wie Arbeiter.
    Erneut schämte sich Cetta für ihr grün-gelbes Blümchenkleid, das sie eigens für diesen Anlass bei einem fliegenden Händler in der Lower East Side für drei Dollar achtzig gekauft hatte.
    Als sie den Blick wieder hob, sah sie, wie Andrew sich lachend zu der Frau mit der Brille umdrehte, sie umarmte und küsste. Cetta war drauf und dran, das Theater zu verlassen. Doch irgendetwas hielt sie zurück.
    »Ist der Platz neben dir frei, Süße?«, fragte jemand zu ihrer Rechten.
    Cetta drehte sich zu einem Arbeiter um, der auf ihren Ausschnitt starrte. »Wenn du deine Hände nicht bei dir behältst, reiß ich dir den Schwanz ab und stopf ihn dir in den Rachen«, sagte sie und blickte erneut zu Andrew und seiner Frau hinüber. Wie sehr sie sich gleichen!, dachte Cetta. Sie sind beide Amerikaner. Und wieder fühlte sie sich fehl am Platz.
    Schließlich senkten sich die Lichter, und die Vorstellung begann. Unaufmerksam verfolgte Cetta die Zusammenfassung der Kämpfe zwischen Arbeitern und Polizei. Sie fühlte sich zunehmend unbehaglich. Es lag nicht an der Wut, die in ihr tobte. Darauf war sie gefasst gewesen, kaum dass sie Andrew und seine Frau entdeckt hatte. Es war etwas Subtileres. Etwas, das sie noch nicht akzeptieren wollte.
    Das Publikum sprang auf und sang gemeinsam mit den Schauspielern auf der

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