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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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wirkenden Indianer gehorchen zu sehen, und nun konnte er nicht mehr zurück.
    Aber er konnte noch zur Seite ausweichen.
    »Du schmutzige Rothaut mit deinem verschmiertem Gesicht! Wann hast du dich wohl zum letztenmal gewaschen? Kratz dir die Farbe von deiner Visage!«
    Der Indianer gab keine gereizte Antwort, wie Henry erwartet hatte. Er widersprach überhaupt nicht, sondern holte eine kleine Dose und ein Lederläppchen hervor und begann die Bemalung mit Fett und Lappen sorgfältig abzureiben. Er nahm sich Zeit.
    Henry war zufrieden, daß sein zweiter Befehl unverzüglich ausgeführt wurde. Er sah interessiert zu, wie aus der Farbenmaske ein menschliches Gesicht hervorkam. Der Indianer entfernte mit Sorgfalt auch den letzten Farbrest. Der Mond ging auf; sein Licht blinkte auf dem Wasser des Flusses und beschien den Indianer. Von Strapazen und Leiden ausgezehrte und verhärtete Züge wurden sichtbar; sie wirkten verwegen und ganz unzugänglich; durch das Spiel von Mondlicht und Schatten verstärkte sich dieser Eindruck.
    Henry starrte auf den Menschen, der seine Maske abgelegt hatte, und erkannte ihn. Der Unterkiefer sank Henry herab, seine Mundwinkel zitterten. Er riß den Revolver aus dem Gürtel. Ehe er abdrücken konnte, sank er um.
    Es war kein Schuß gefallen. Der Indianer stand auf und holte den Dolch wieder, mit dem er im Wurf seinen Gegner getötet hatte. Der Griff des spitzen, zweischneidig geschliffenen Messers war in Form eines Vogelkopfes kunstvoll geschnitzt. Der Dakota reinigte das Messer, indem er es in die Erde stieß, und ließ die Klinge in die Scheide gleiten. Henrys Revolver gab er Bob Kraushaar.
    Dann nahm er Henrys Brieftasche mit dem Schreiben an Major Smith an sich.
    Der Indianer legte seine Verkleidung ab und rauchte mit Kraushaar im Dunkeln eine Pfeife.
    Nach dem toten Henry sah sich der Dakota nicht mehr um. Sein Volk stand in einem Kampf, in dem es keine Gnade gab, und der Dakota hatte nie gelernt, Gnade zu üben. Die roten Männer und die weißen Männer hatten ihn von Kindheit an gelehrt, daß es notwendig und ein großer Ruhm sei, Feinde zu töten.
    Die Skalplocke hatte Henry nicht darum behalten, weil der Häuptling nicht skalpierte. Aber Henry hatte sich zu leicht töten lassen. Es war keine Auszeichnung für einen Dakota, ihn besiegt zu haben.
    »Was nun?« fragte Tschapa Kraushaar seinen Häuptling.
    »Unser Späher Ihasapa sollte mit Pferden und Nachrichten hier in der Nähe auf uns warten. Meine Boten, die ich zu unseren Oberhäuptlingen Tatankayotanka und Tashunka-witko und zu den Häuptlingen der Absaroka und der Pani gesandt habe, müssen zurück sein.«
    »Traust du diesen Pani, die deine Mutter getötet haben, als du noch ein Knabe warst, und diesen Absaroka, gegen die Tatanka-yotanka als junger Krieger gekämpft hat?«
    »Denen, die kommen werden, vertraue ich. Ich habe in den vergangenen Sommern auch bei unseren Feinden einsichtige Krieger kennengelernt.«
    »Wie du meinst. Ich will deinen großen Plänen nicht länger im Wege sein.«
    Der Dakota lief auf die höchste der in der Nähe gelegenen Anhöhen und heulte wie ein Kojote. Er wiederholte das Zeichen im Zeitraum einer halben Stunde viermal. Bald darauf erschien weiter oben am Fluß ein Indianer zu Pferde. Er führte zwei ledige Mustangs mit, den einen nur mit großer Mühe. Der ledige Falbhengst stieg und schlug und wollte sich losreißen. Der Häuptling winkte; da gab der junge Krieger den Hengst frei, und das Tier galoppierte zu seinem gewohnten Reiter, der es mit leise gesungenen Worten begrüßte. Der junge Reiter übergab das zweite ledige Pferd Kraushaar. Der Häuptling forderte ihn zum Sprechen auf.
    »Ein größerer als ich ist da, um mit dir zu sprechen, Tokei-ihto«, gab der junge Mensch zur Antwort. »Unser Oberhäuptling Tashunka-witko ist mit drei Kriegern für eine Nacht gekommen.«
    Tokei-ihto hatte sich beim ersten Wort schon aufgeschwungen. »Führe uns zu ihm, Ihasapa!«
    Der Galoppritt währte nicht mehr als eine Viertelstunde. In einem Wiesental trafen sich die Männer. Umgebende Hügel warfen Schatten gegen das Mondlicht. Auch hier brannte kein Feuer. Als die drei herankommenden Reiter absprangen, erhob sich aus der Mitte von vier am Boden sitzenden Indianern einer. Er war von gleich stolzer Haltung wie der junge Kriegshäuptling und nicht anders gekleidet. Der Schattenriß seines Gesichts war scharf, die Kopfform schmal und langgestreckt. In einem Schimmer nächtlichen Lichtes trafen sich die

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