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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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war schon umgestürzt, und Cate sah im Vorbeifahren mit Todesangst, wie fremde Reiter aus dem Dunkel auftauchten.
    Noch einmal krachte eine Folge von fünf Schüssen, und weitere fünf der berittenen Begleiter der Kolonne fielen aus dem Sattel. Zwei blieben mit dem Fuß im Steigbügel hängen und wurden von ihren Tieren fortgeschleift. Dragoner und Rauhreiter begannen regellos zu flüchten und wurden verfolgt. Die Reiterkämpfe zogen sich auseinander. Auf seiten der Weißen gab niemand mehr ein Kommando.
    Der Wagen, in dem das Mädchen saß, war noch in Fahrt. Tom hatte die Zügel gegriffen und lenkte an einem gestürzten Wagen, halb am Hang der grasbewachsenen Sandhügel, vorbei. Er ließ die lange Peitsche über die Köpfe der Tiere sausen und feuerte sie brüllend zum Galopp an. Cate verkroch sich instinktiv zwischen den Seitenwänden des Wagens im Stroh. Jetzt scheute sie sich nicht mehr vor dem Körper des bewußtlosen Fremden, nicht mehr vor dem Geruch von Blut und Schweiß, der von ihm ausging.
    Der vierspännige leichte Wagen schien in seiner sausenden Fahrt aus dem Gefechtsbereich hinauszukommen. Der Lärm des Kampfes blieb dahinter zurück. Cate kam aus ihrem wirren Entsetzen wieder zu sich und lugte vorsichtig in die Nacht hinaus. Vereinzelte Reiter galoppierten noch an dem Wagen vorbei. Schüsse krachten wieder, aber weit ab. Das Mädchen seufzte. Jeder Mensch, der eine weiße Haut hatte, war ihr ein Trost in der Gefahr. Am meisten vertraute sie auf Tom, der den Wagen mit sicherer Hand lenkte.
    »Cate! Her zu mir!« erklang auf einmal Toms Stimme. »Her zu mir auf den Kutschbock, schnell!«
    Tom hatte die Maultiere von neuem angetrieben. Das Viergespann galoppierte, und der Wagen schleuderte wieder, als wollte er jeden Augenblick umstürzen. Das Mädchen kletterte mit großer Mühe neben den Alten auf den Kutschersitz. Hier hatte sie freieren Blick über die nächtliche Prärie. Hier auf dem Bock konnte sie aber auch vom Feinde gesehen werden. Warum hatte der Alte sie hierhergerufen? Sie fürchtete sich. Ihre Nerven begannen zu reißen. »Tom!«
    »Cate, faßt die Zügel! Könnt Ihr fahren? Fahrt immerzu! Geradeaus – da geht es zu Eurem Vater! Faßt fest an! Ihr fahrt um Euer Leben!«
    Cate faßte zu. »Was ist? Gehst du fort? Bleib da! Lange kann ich’s nicht.«
    »Du mußt!« Der Alte stockte und erbrach etwas, was dem Mädchen warm über die Hände rann. Sie spürte, was das war. Blut! »Cate! Mich hat es. Fahre! Achtung, auf die Maultiere schauen, nicht auf mich!«
    Noch einmal quoll das Blut aus Toms Mund. Cate sah jetzt erst den Pfeil in seiner Seite stecken. Sein Körper verlor den Halt, und er stürzte ins Gras.
    Cate saß wie versteinert auf dem schwankenden Wagen. Sie hielt die Zügel des Vierergespanns, das in die undurchsichtige Neumondnacht hineinfloh. Das Tal entlang ging die verzweifelte Fahrt, vorwärts, nur weiter! Die Maultiere liefen. Auch sie waren verstört und flohen in instinktiver Angst. Als Weg blieb ihnen nur der Talgrund. Cate konnte die Tiere fast sich selbst überlassen. Sie fuhr und fuhr. Pfützen spritzten, Schneereste knirschten. Die Räder rollten. Allmählich fühlte sich das Mädchen sicherer. Auch die Maultiere beruhigten sich und fielen in Trab. Cate kam mit der langen Peitsche nicht zurecht, da sie beide Hände zum Lenken brauchte. So kam es, daß die Tiere liefen, wie sie wollten.
    Die Gedanken des Mädchens begannen wieder zu arbeiten. Wie war ihr der Weg beschrieben worden? Im Wiesental ging es bis zum Flußufer. Sobald man den Niobrara erreichte, konnte man die Blockhausstation sehen. Dann war man gerettet. Gerettet! Wieviel heiße Wünsche, wieviel angstvolle Sehnsucht trieb Cates Phantasie immer wieder zu dem Bild der Station, die der Vater, Major Smith, kommandierte. Aber plötzlich scheute ihr Gefühl zurück. In dem Blockhaus, zu dem sie jetzt fuhr, war der Vater jenes Indianers ermordet worden … jenes Indianers, der jetzt mit seinen Männern die Kolonne überfallen hatte. Ja, war er es gewesen, der Todfeind, von dem die Männer in den Nachtstunden vor dem Überfall gesprochen hatten? Cate spürte, wie die Angst sie wieder lahmen wollte, und mit Gewalt schaltete sie alle Gedanken ab. Sie mußte auf die Maultiere achten.
    Auf einmal vernahm sie ein Geräusch. Das war Hufschlag! Pferde kamen hinter ihrem Wagen her. Holten Reiter sie ein? Freunde? Feinde? Oder liefen nur ledige Pferde noch umher und wollten sich vielleicht gewohnheitsgemäß zu dem Wagen

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