Der junge Häuptling
der Wagen, als ob er mit der Deichsel zurückgeschoben würde, und das Gefährt stellte sich gerade. Cate fühlte, daß jemand auf den Kutschbock sprang und sich neben sie setzte. Sie hörte, wie die Zügel auf den Rücken des letzten noch lebenden Maultieres klatschten. Es erklang ein antreibender Ruf. Die Stimme, die ihn ausstieß, war dem Mädchen schon bekannt. Es war die gleiche, die das erste »stop« gerufen hatte.
Cates Verstand sagte, daß Bill besiegt und tot sein müsse, wenn der Indianer sich jetzt ungehindert des Wagens bemächtigte. Cates Verstand sagte, daß der Dakota das Mädchen neben sich zunächst gar nicht beachtete. Der Indianer faßte sie nicht an, er drohte ihr nicht, er jagte sie nicht in das Innere des Wagens hinein. Er handelte wieder, als ob sie gar nicht da sei. Das alles sagte Cates Verstand. Aber ihr Gefühl und ihre Phantasie wollten diese Tatsachen nicht wichtig nehmen. Cate war nur noch mit Schreckbildern ihres eigenen kommenden Schicksals beschäftigt, und die Angst hielt sie so in ihren Krallen, daß sie nichts sehen und möglichst wenig hören mochte. Tatenlos, fast willenlos blieb sie in dem Wagen, den der Indianer lenkte, und fuhr am hellen Morgen weiterhin die Strecke zurück, die sie von ihrer nächtlichen Flucht her kannte. Diese Flucht schien ihr schon weit zurückzuliegen. Nun hatte es sich entschieden. Sie war gefangen.
Der Schein der Morgensonne spielte durch die Öffnung der Plane herein und tanzte mit hellen Flecken über Stroh und Waffen und Menschen. Cate war todmüde und hungrig nach der durchwachten Nacht. Aber sie hielt die Augen gewaltsam offen und blieb aufrecht auf dem Kutschbock des holpernden Wagens sitzen. Das Mädchen war vollständig auf sich allein angewiesen und das in einer Lage, in der es um ihr Leben ging. Sie warf einen Blick auf das Repetiergewehr des Feindes, Bills Flinte und seine Pistole sowie ihre eigene, die hinter dem Kutschbock lagen. Sie hätte noch einen Versuch des Widerstandes machen können, aber sie wußte, daß ein solcher Versuch lächerlich und zum Scheitern verurteilt war. Wer konnte ihr noch helfen?
Der Indianer, in dessen Gürtel wieder der Revolver steckte, hatte das Maultier Bessie zeitweise in Schritt fallen lassen. Jetzt trieb er es von neuem an. Der Falbe lief nebenher.
Das Mädchen fuhr in dem holpernden, schleudernden Wagen durch das Steppental und versuchte dabei, ihre Gedanken weiter arbeiten zu lassen. Ihr Vater, der einzige Mensch, der ihr noch helfen konnte, war fern. Erahnte auch nicht, in welcher Lage sich sein Kind befand. Er hatte nichts davon gewußt, daß seine Tochter die Fahrt mit der Kolonne unternahm. Als Cate an ihren Vater dachte, nahm sie sich unwillkürlich zusammen. Wenn sie auch verloren war, so wollte sie doch mehr sein als ein zitterndes Häuflein Unglück. Sie wollte so denken, wie es sich für ein Soldatenkind gehörte. Das Mädchen begann, den Indianer, der neben ihr saß, aufmerksam zu betrachten. Er war Herr geworden über ihr Leben. Sie wollte versuchen zu ergründen, ob sie mit ihm sprechen könnte.
Als ob der Indianer den Blick gespürt habe, wandte er den Kopf halb um. »Ihr seid die Tochter des Majors Samuel Smith«, sagte er wieder auf englisch. »Hat Euch Euer Vater zu seinem Blockhaus gerufen?«
»Nein.«
»War bei dem Transport ein großer Mann mit roten Haaren, dem die Ohrläppchen angewachsen sind?« Cate horchte auf. »Nein«, sagte sie, »Red Fox war nicht bei der Kolonne.«
Der Indianer maß das Mädchen mit einem verwunderten Blick. Dann wandte er sich wieder dem Maultier zu. Das Gespräch war schon beendet.
Cate versuchte, eine klare Vorstellung über ihre Lage zu gewinnen. Der Indianer hatte ruhig, wie selbstverständlich mit ihr gesprochen, in einer sachlichen Art, die sie ermutigte, auch ihrerseits ruhig und sachlich nachzudenken. Was würde mit ihr geschehen? Die Erinnerungen an alles, was sie mit Indianern erlebt und von Indianern schon gehört und gesehen hatte, schossen ihr kreuz und quer durch den Kopf. Sie fürchtete nicht, daß man sie martern werde. Frauen wurden nicht gemartert. Aber warum hatte der Indianer, der den Wagen lenkte, sie nicht gleich getötet? Das wäre ihm ein leichtes gewesen. Wollte er sie als Beute haben? Was konnte ihr Schicksal in einem Indianerdorf sein? Sie wollte keine Indianerfrau werden. Der Vater mußte mit seiner Truppe kommen und sie befreien. Sobald er von dem Überfall auf die Kolonne erfuhr, rückte er sicherlich mit seinen
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