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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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ich wieder ins Haus gehen wollte, kam er hinter mir her. Ich machte die Tür auf, schaute in den erleuchteten Raum und wurde starr. An dem Platz hab ich gestanden, an dem wir jetzt stehen. Vor meinen Augen geschah ein Mord. Red Fox stieß Mattotaupa das Messer in die Brust. Hinter mir stand Harry, Mattotaupas Sohn. Als ich mich wieder nach ihm umsah, war er verschwunden, als ob die Nacht ihn verschluckt hätte.«
    »Hier an diesem Platz habt Ihr gestanden«, wiederholte Cate leise. Dann fragte sie: »Wie konnte es zu dieser Tragödie kommen?«
    »Mattotaupa war aus seinem Stamm ausgestoßen worden, weil er betrunken ein Goldgeheimnis der Berge verraten haben sollte, und sein Sohn, der ihm seine Unschuldsbeteuerungen glaubte, war ihm gefolgt, als er erst zwölf Jahre alt war. Ein Jahrzehnt sind die beiden verbannt umhergeirrt und haben bei uns die Namen Top und Harry getragen. In der Mordnacht erst erfuhr Top, daß er wirklich einen Verrat begangen hatte – oder wenigstens einen halben Verrat. Red Fox wollte ihn zwingen, das Geheimnis vollends zu enthüllen. Der Rote weigerte sich und hob die Keule gegen Red Fox. Nun, der Fuchs war mit dem Messer schneller, und seine Freunde halfen ihm dabei. Mattotaupa starb. Harry aber ging zu seinem Stamm zurück und wurde Krieger und Häuptling der Bärenbande. Er hat seinen Vater und zehn Jahre des eigenen Lebens verloren. Einen Richter, der das Unrecht sühnt, kann er nicht finden. Daß er selbst Rache nimmt – wer will mit ihm darüber rechten?«
    Cate schaute in das dunkle Haus hinein. »Merkwürdig ist …« Sie stockte.
    »Was ist merkwürdig, Fräulein Cate?«
    »Nur eine Erinnerung.« Cate wurde verlegen. »In Minneapolis, als ich noch ein Kind war, haben wir einmal einen Indianerhäuptling und seinen Jungen gesehen – der Junge hieß Harry.«
    »Warum sollten die beiden, die Ihr gesehen habt, nicht Top und Harry gewesen sein? In den zehn Jahren sind sie weit umhergekommen, vom Platte im Süden bis hinauf zum oberen Missouri im Norden. Mein Vater und Thomas und Theo kannten die beiden auch. Top und Harry lebten einige Zeit bei den Schwarzfußindianern. Dort haben Thomas und Theo die beiden getroffen, als Harry Tokei-ihto noch ein Junge von 12 oder 13 Jahren war, und wahrhaftig, wenn Ihr Thomas erzählen hört, könntet Ihr glauben, er habe diesen Burschen heute noch gern! Später waren Top und Harry als Kundschafter beim Bau der Union Pacific angestellt; wer weiß, wie sie sich sonst noch durchs Leben gebracht haben. Heute ist Harry Tokei-ihto jedenfalls der ›beste Mann‹ zwischen dem Platte und den Black Hills. Aber macht Euch keine Sorgen. Bei Tageslicht unternehmen die Roten nichts. Da seid Ihr sicher wie in Abrahams Schoß.«
    »Ein schöner Trost«, meinte Cate ironisch, »es sind nur ein paar Stunden bis zur Nacht, und für die Zeit der Dunkelheit scheint Ihr weniger zuversichtlich zu sein?«
    »Die Blockhäuser sind stark gebaut, Miss, besonders das alte hier. Habt keine Angst, wir werden Euch hüten wie unseren Augapfel!«
    »Das wurde mir bei der Kolonne in der vergangenen Nacht auch versprochen.«
    »Und nun seid Ihr durch Erfahrungen mißtrauisch geworden?«
    »Mein Vater hat mich Euch anempfohlen, Adams! – Ich verstehe übrigens nicht, warum uns die Dakota hier so feind sind. Wir haben ihnen gute Wohnsitze angeboten, sagt mein Vater, wo sie bleiben und etwas lernen können. Aber sie nehmen keine Vernunft an.«
    »Dürres, unfruchtbares Land bieten wir ihnen, und warum sollen sie überhaupt Vernunft annehmen, Miss Cate? Das freie Dasein in der weiten Prärie ist doch viel schöner. Ja, ich dachte auch, die Roten führen ein elendes Leben. Aber im Grunde haben sie es besser als unsereiner. Ich möchte wohl so ein Krieger und Jäger sein und daheim auf dem Fell liegen und mich von einer Squaw bedienen lassen …«
    »Sind die Frauen zum Bedienen da, Adams?«
    »Frauen nicht, aber die roten Weiber.«
    Cate war wieder beruhigt. Aber dann fuhr sie plötzlich zurück. »Adams! Gibt es hier Ratten?«
    »Warum?«
    »Im Haus hat sich etwas gerührt. Es ist etwas gekrabbelt.« Adams schaute durch die offene Tür in den halbdunklen Raum des alten Blockhauses. Einzelne Tische standen noch so, wie sie vor zwei Jahren zur Zeit Bens gestanden hatten. Auch die Wandbank war noch vorhanden. Auf dem Boden lagen Decken unordentlich umher und in der anderen Hälfte des Raumes Heubündel. In der hinteren Wand war eine Tür eingelassen, die zu einem kleinen Anbau führte, dem

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