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Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Titel: Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Brown
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trifft viele Ärzte viele Male im Jahr: Er ist ein idealer Kandidat für eine allgemeine Online-Krankenakte. Das Krankenhaus redet seit Jahren davon, Krankenakten der Patienten zu digitalisieren, und die Regierung hat bereits fast eine Milliarde Dollar für diesen Zweck ausgegeben. Diabetiker werden die erste Gruppe sein, deren Akten als Computerdateien angelegt werden, obwohl es immer wieder Einwände wegen der Vertraulichkeit der Informationen gibt, ganz zu schweigen von den Kosten. Trotzdem, wenn es je ein Kind gab, das weniger Vertraulichkeit brauchte und dafür umso mehr eine allgemein zugängliche Krankenakte, dann ist das Walker. Ich führe bei einem einzigen Besuch im Krankenhaus gleich mehrere solcher Gespräche.
    »Wie wollen Sie ihm die Anästhesie verabreichen?«, frage ich.
    »Wahrscheinlich mit einer Maske. Oder vielleicht ein Infusionsständer, aber wenn er reaktiv ist, wahrscheinlich die Maske. Ist er verstopft?«
    Ich hätte angenommen, dass es vielleicht ein bisschen spät war, das zu fragen, aber bei ambulanten Behandlungen wird so vorgegangen, nach dem Motto: Sie sagen mir bloß das, was ich im Moment zu wissen brauche, und mehr nicht.
    »Er ist oft verstopft.« Das ist jetzt Trish, die da spricht. »Es sind seine Allergien.«
    »Lungenentzündung? Reagiert er allergisch auf Azithromycin?«
    Ich habe nach den Einzelheiten der Anästhesie gefragt, um den Arzt zu beruhigen, um ihm zu vermitteln, dass Walker genauso zäh ist wie andere Kinder, dass sein Vater sich sehr um seine Gesundheit und sein Wohlbefinden kümmert. Der Arzt ist überrascht – die meisten Eltern wollen es gar nicht so genau wissen – aber begeistert über die Aussicht, über die aufregenden Mittel seines Gewerbes zu sprechen: Sevofluran, Fentanyl (ein Morphium-ähnliches Sedativ), Propofol in der Infusion. »Vielleicht rektal etwas Paracetamol, wenn er wieder aufwacht.« Paracetamol rektal? Hat es denn nicht einmal ein Ende mit all den entwürdigenden Erfahrungen, die der arme Junge durchleiden muss? Heute Nacht nicht, Schatz, mein Arsch tut weh. Die Witze verpuffen in meinem Kopf. Es ist nicht immer so ernst hier, im Krankenhaus. »Er wird durch eine PEG -Sonde ernährt, oder? Vielleicht machen wir es einfach damit und lassen das mit dem rektalen Paracetamol.« Dann warten wir wieder. Um Walker abzulenken, setze ichmich in einen Rollstuhl, hebe ihn auf den Schoß und fahre auf der Station herum und über die Flure. Ich versuche, so schnell zu fahren, wie ich kann, es ist nicht so einfach, wie es aussieht. Zwanzig Minuten lang ist der Junge im Himmel, ein neuer Rekord für die Dauer beiderseitiger Freude. Er liebt es, den Fußgängerüberweg zu nehmen, der die Eingangshalle überspannt, und auf die riesigen bunten Mobiles mit Kühen, Schweinen und Monden zu schauen, die im Innenhof hängen. Ich bin überrascht über seine Begeisterung und erzähle Trish davon.
    »Oh, er liebt es, im Rollstuhl zu fahren«, sagt sie schlicht. Inzwischen hat sie ihr Jackett ausgezogen, und ich muss mich anstrengen, um ihr nicht dauernd in den Ausschnitt zu starren. Einer Frau in den Ausschnitt zu starren, ist etwas, bei dem kein Mann so gern erwischt wird, aber es ist wirklich ganz unmöglich, wenn man in einem Kinderkrankenhaus bei den Vorbereitungen zu einem Eingriff mit seinem geistig behinderten Sohn ist und gerade mit ihm in einem Rollstuhl herumsaust. Aber Trish ignoriert mich oder verzeiht mir.
    »Er ist immer mit Krista Lee herumgefahren, auf ihrem Schoß.«
    Krista Lee aus seiner ersten Wohngruppe, in der die meisten Kinder aus gesundheitlichen Gründen nicht beweglich waren. Walker war der Rattenkönig an diesem Ort, sein Star: Er konnte laufen. Innerhalb weniger Wochen konnten wir beobachten, wie seine Selbstsicherheit zunahm. Als er nur mit uns zusammen lebte, war er immer derjenige gewesen, der am wenigsten konnte. Dort war er ein Reisender, ein Kosmopolit. Kenny, Walkers erster Zimmergenosse, hatte, weil er fast ertrunken wäre, Gehirnschäden erlitten und konnte sich nicht mehr gut allein bewegen. Aber Walkers Mobilität fand Kenny so aufregend, dass er mit den Händen klatschte und lachte. Kenny konnte keine Wörter bilden und seinen Körper nicht vollständig kontrollieren, aber er konnte hören und verstehen und sich selbst mit einem Wirbel von Gesten und Lauten verständlich machen, besonders wenn er Besucher hatte. Er war ein lieber Junge. Ich habe mich nie so geliebt gefühlt wie an diesem Ort, umgeben von all diesen

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