Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)
bringen, sich auf der Stelle zu drehen und wie ein Verrückter zu grinsen, nur indem sie »Und die Räder am Bus« sang, was sie Dutzende von Malen tat, wenn sie bei ihm war. Er mochte auch Will, seinen anderen Nachtbetreuer (der kam, wenn Trish frei hatte), ein großer, sanfter Mann in den Zwanzigern. Will war so ruhig, wie Trish gesprächig war, aber Walker war ihm ganz und gar ergeben. Und Walker betete Jermayne an, seinen Tagesbetreuer für mehr als zwei Jahre.
Jermayne war Jamaikaner, 1,92 Meter groß, mit Zöpfen und einer Stimme, die so tief war, dass mir die Brust vibrierte, als würde ein paar Blocks weiter ein Zug vorbeifahren. Meine Frau war ein bisschen in ihn verknallt. Er mochte Kinder: Wenn man Jermayne fragte, wie viele Kinder er selbst hat, sagte er: »Zu Hause zwei.« Seine Tochter war zehn: Walker ging zu ihr hin und gab ihr seine Hand, damit sie ihn führte. »Jermayne behandelt Walker wie ein Mitglied seiner Familie«, erzählte mir Trish. »Mit Jermayne hat er noch mehr Sozialverhalten gelernt. Als sie sich kennen lernten, wischte sich Walker die Nase an Jermaynes schwarzer Hose ab. › Ihr werdet die besten Freunde werden ‹ , erzählte ich Jermayne, und sie wurden die besten Freunde. Sie spielten Basketball, auf ihre Art. Sie waren Kumpels. Jermayne sagte: › Dann mal los, Walker ‹ , und Walker sagte: › Hunh! ‹ Derzeit tendiert Walker stark zu Männern.«
Ich kleidete Walker so ein, wie ich selbst herumlief – karierte Hemden und Kordhosen, Jeans und Pulli. Nachdem Jermayne in sein Leben getreten war, tauchte Walker bei uns zu Hause mit kurz geschorenen Haaren, seidenen Basketballhosen, Trikots und Baseball-Kappe auf, DJ Headbanger. Wegen Jermayne begann er, auf Reggae im Autoradio zu reagieren, ein kräftiger Grundbass brachte ihn immer zum Lächeln. Es war, als wäre er fort gewesen, in einem fremden Land, und erzählte mir jetzt, was er dort gesehen, gehört und geschmeckt hatte.
Er war mit Will und Trish, Tyna und Jermayne nicht bloß ein anderer Junge: Er war ihr Junge, genauso wie er mein und Johannas und Olgas Junge war, er gehörte mehr und mehr uns allen, weil er die Art von Junge war, die kein Mensch allein versorgen kann. Das war der Preis und das Wunder seines Lebens.
»Alle seine Kleider, die gefaltet da drin liegen, in seinem Schrank, das bin alles ich«, sagte Trish eines Nachmittags zu mir. Zu Hause weckten wir ihn auf, Trish ließ ihn von allein aufwachen. »Er denkt gern, dass er das entschieden hat.« Monatelang war das Grundstück neben der Wohngruppe eine Baustelle gewesen. »Er liebte das«, sagte Trish. »Ich sagte dann: › Komm, wir schauen uns die Laster an. ‹ Ich bin ihm sehr nah. Mag ihn sehr. Sie nennen mich bei der Arbeit die Walker-Flüsterin. Ich stelle fest, wenn er sich hinlegt, ist er wirklich müde, aber er möchte nichts verpassen.« Der Unterschied zwischen Trish und uns war, dass Trish nicht Walkers Mutter war: Sie konnte auf ihn aufpassen, aber sie konnte sich auch ein Stück von ihm distanzieren, ihn klar und weniger emotional sehen.
Sie sagte, sie habe nie unsere Entscheidung, Walker in eine Wohngruppe zu geben, in Zweifel gezogen. Als sie Walker kennen lernte, bevor er einen Helm oder Armschienen trug (ich war überzeugt, dass diese Einschränkungen ihn bis zum Wahnsinn frustrieren würden), und er sich immer noch seine Haut mit seinen Fäusten bis aufs Blut aufscheuerte, trotz unserer anhaltenden Bemühungen, das zu verhindern, sagte sie: »Ich wusste, dass es ein Hilferuf war, als Sie ihn dorthin gebracht haben. Ich weiß gar nicht, wie Sie es überhaupt so lange geschafft haben. Und als ich anfangs dorthin kam, wusste ich nicht, ob ich es schaffen würde. Man muss es sich wirklich klar machen, dass seine Sturheit, sein Schlagen und Weinen nichts Bösartiges sind. Vielleicht ist es, wenn er Sie haut, eher wie: › Ich mag es, wie sich das anfühlt, und ihr solltet das auch. ‹ « Trish war eine der Frauen, die Walkers Armschienen erfunden hatten, die das ursprüngliche Paar aus Pringle-Kartoffelchips-Dosen kreiert hatten. Sie erinnert sich an das erste Mal, als die Betreuerinnen sie Walker anlegten und er entdeckte, dass er sich nicht mehr schlagen konnte: »Er seufzte. Er seufzte. Und dann griff er einfach nach einem Spielzeug und spielte damit.« Trish vernetzte sein Gehirn neu.
Es war auch Trish, die vorschlug, dass er einen Helm tragen solle, Trish, die eine Decke, in deren Stoff Gewichte eingenäht waren, vorschlug, damit ihm
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