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Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Titel: Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Brown
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wohl aus ihm werden würde.
    Gleich zu Anfang – auch das ist üblich in Familien mit CFC -Kindern – kamen wir überein, dass Hayley als Erwachsene nicht für Walker verantwortlich sein sollte. Aber sie kam gut mit ihm zurecht. Eines Tages fragte ich sie, warum sie glaubte, dass Walker auch mit zwei Jahren noch nicht laufen und sprechen konnte. »Ich konnte mit einem Jahr laufen, weil ich mit zwei offenen Augen auf die Welt gekommen bin«, sagte sie. »Aber als Walker auf die Welt kam, hatte er nur ein Auge offen.« Sie war vier Jahre alt.
    Die CFC -Diagnose war ein Ausgangspunkt, aber dass man jetzt ein Etikett hatte, bedeutete nicht, dass Walkers Gesundheit besser wurde. Dr. Saunders’ Aufzeichnungen wiederholten sich: verstopft und hustend, Mittelohrentzündung und antriebslos tauchten in jedem Eintrag wieder auf. Auch mit achtzehn Monaten sprach Walker noch nicht und verstand auch keine Wörter, konnte nicht laufen, benutzte keinerlei Gesten, außer seine Arme zu heben, was »hoch« bedeutete, und gelegentlich zu lächeln. ENTWICKLUNGSVERZÖGERUNG , schrieb Saunders in Großbuchstaben auf sein Krankenblatt. Die Zeit reichte tagsüber einfach nicht, um darauf zu warten, dass Walker das Bisschen an Nahrung, was er schlucken konnte, hinunterbrachte, und so ordnete Saunders die Anbringung einer PEG -Sonde an. Bevor er nicht stärker wurde, würde er nicht essen können, weil er aber nicht essen konnte, würde er auch nicht stärker werden. Die PEG -Sonde machte es auch leichter, ihm die immer größer werdende Anzahl von Medikamenten zuzuführen, die Walker gegen seinen Reflux, seine Ohrenentzündungen, seine Schlaflosigkeit, seine Nervosität und seine Ausschläge bekam: Genitianaviolett, Hydrokortison, Amoxicillin, Azithrmycin, Clarithromycin, Erythromycin (noch weiter im Spektrum antibiotischer Stärke), Propulsid, Cephalexin, Betnovate, Flammazine, Laktulose, Chloralhydrat. Sie klangen wie die Namen von Gesandten für eine intergalaktische Konferenz von Außerirdischen. Seine chronische Verstopfung (seine Muskeln waren zu schwach, um Dinge normal weiterzubefördern), die sich durch das gleichermaßen nötige Chloralhydrat verschlimmerte, machte oft nicht eines, sondern gleich drei weitere Medikamente erforderlich – Laktulose als zuckeriger Auftakt, Docusat als Dynamit und dann Zäpfchen, die eigentlichen Sprengkapseln. Man hatte dann noch fünf Minuten, um sich in Sicherheit zu bringen.
    Nichts war normal. Wie die meisten Kinder hatte er Ausschlag wegen der Windeln – aber weil dies Walker war, mein kompromittierter Sohn, war es das Tschernobyl der Windelplagen, und er musste einen Tag im Krankenhaus verbringen. In seinen Ohren war so viel Ohrenschmalz, dass wir damit ein Wachsfiguren-Museum hätten starten können. Über einen Zeitraum von zehn Monaten entwickelte er qualvolle Blasen an den Füßen, die sein ohnehin schon mühsam erlerntes Laufen noch mehr vereitelten. Sie waren im Durchmesser zehn Zentimeter lang, gelb und tauchten auf, ob er nun Socken trug oder nicht, Schuhe oder nicht. Sie verschwanden so schnell wieder, wie sie gekommen waren. Die Ärzte konnten nie herausfinden, was es damit auf sich gehabt hatte.
    Die Diagnose CFC bedeutete noch mehr Termine: der Ohrenspezialist, der Augenarzt, der Hautarzt, der Reflux-Experte, der Neurologe, der Podologe, Beschäftigungs-, Verhaltens- und Oraltherapeuten, der Genetiker, der Kardiologe, die Ernährungs- und die Schlafklinik, ja selbst die Sabberklinik. Deren Schlussfolgerung (und ich meine es ernst): »Mrs Brown, Ihr Sohn sabbert.« Der Zahnarzt musste Walker unter Vollnarkose versetzen, um seine Zähne reinigen zu können. Oraltherapie war wichtig, wenn er sprechen lernen sollte, aber zwei Jahre führten zu gar nichts, wir wechselten zu Zeichensprache über, aber er stellte den Augenkontakt nicht her, der dafür Voraussetzung war, und seine Feinmotorik war ohnehin nicht ausgeprägt genug dafür. Außerdem fing er zu dem Zeitpunkt damit an, sich dauernd den Kopf zu stoßen, was seine Therapeuten nicht gerade ermunterte.
    Der Augenarzt bekam keine genaue Messung hin, was seine Augen brauchten, und Walker konnte es nicht sagen. Das Gleiche galt für seine Hörfähigkeit. Wenn man die elf Male hinzuzählte, die Walker 1998 allein schon in Dr. Saunders Praxis zubrachte, dazu noch die Fahrten in die Notaufnahme, dann absolvierte Walker einen Arztbesuch pro Woche. Wohlgemerkt, wenn er mehr oder weniger gesund war.
    Es wäre besser, uns auf seine

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