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Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Titel: Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Brown
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das nicht gern: Olga arbeitete so schon hart genug, es war einfach zu viel, sie um noch mehr zu bitten. Stattdessen nahmen wir ihn mit: Johanna, Hayley, Walker und ich und oftmals auch Olga – unsere kleine Betreuungs-Karawane.
    Eine frühe CFC -Studie spekulierte, dass die schützende Myelinschicht auf den Nerven von Kindern mit CFC unzureichend war, was dazu führt, dass zu viele Informationen in ihr Gehirn dringen: Ihr mangelnder Output sei die Folge von zu viel Input, ein ungenügend kontrolliertes und organisiertes neuronales Netzwerk. Das leuchtete mir ein. In einem Auto oder in einem Flugzeug, wenn er aus dem Fenster sah und entsprechend stimuliert wurde, hörte Walker nie auf, sich zu bewegen. Es war alles, was er tun konnte, um von der Schwerkraft gehalten zu werden. In einem Flugzeug blickte er aus dem Fenster und lachte, betrachtete seine Hände, sah wieder aus dem Fenster, lachte wieder, zog die Knie an, rollte sich auf dem Sitz zusammen, rollte sich auf die Seite, zog sich wieder hoch, sah wieder aus dem Fenster, schlug sich an den Kopf, fiel flach auf die Seite, lachte schallend und streckte sich dann auf dem glatten, rutschigen Sitz aus (er liebte die durchgängige Rutschigkeit der Polsterung). Dann fing er wieder von vorn an, und dann begann er zu weinen. Das alles passierte in ungefähr zwei Minuten. Er schien das, was ihn überwältigte, nicht kontrollieren zu können, und das war eine Menge.
    Er liebte es, wenn ein Flugzeug abhob und wenn unser Wagen von einem Parkplatz wegfuhr. Er ließ gern auf dem Rücksitz die elektrischen Fenster herunter und schmiss dann Sachen aus dem Auto, wenn er dachte, dass keiner hinschaute. (Was häufig genug passierte.) Manchmal wenn ich zu Hause am Esstisch arbeitete, mich durch unverständliche Aufsätze über Genetik oder Neurologie ackerte, kam er ins Zimmer, setzte sich auf meinen Schoß, ließ sich ein, zwei Mal schaukeln und stand dann zehn Sekunden später wieder auf und ging weg. Ich konnte Olga in der Küche hören, und ich dachte: Wie lange wird das so weitergehen? , selbst wenn ich dankbar für die Unterbrechung war. Zehn Minuten später war er wieder da und machte alles noch mal. Seltsamer Rhythmus meines rätselhaften Jungen.
    Das waren die guten Tage. An den schlechten blieb er bei mir, klammerte sich an meinen Arm oder lag neben mir, stöhnte, schrie oder weinte. Wenn es so stark draußen schneite, dass er nicht in seinem Kinderwagen heraus konnte, bekam er Anfälle, legte sich auf den Fußboden und hämmerte mit seinem Kopf dagegen. Ich habe dieses Geräusch nur allzu genau in meiner Erinnerung.
    An den guten Tagen nahmen meine Frau und ich uns die Zeit, die wir kriegen konnten, für uns selbst. Unsere Freunde Cathrin und John hatten ein altes Häuschen am See nördlich von Toronto, in einer Gegend namens Muskoka, eineinhalb Autostunden entfernt. Sie luden uns wieder und wieder nach Norden ein, oft zusammen mit einem anderen Paar, Tecca und Al. Es wurde zu einer zweiten Welt für uns, zu einer Zuflucht für die Wochenenden. Man konnte meilenweit von ihrer Insel aus übers Wasser auf das endlose gefiederte Grün der Bäume sehen.
    Wir nahmen Hayley, Walker und Olga mit, und Olga passte auf unseren Jungen auf, saß mit ihm auf der geschützten Veranda einer kleinen dazugehörigen Hütte am Ufer des Sees: Die Melodie und die Worte von »Do Your Ears Hang Low?« wehten wie Liebeslieder wieder und wieder und wieder von der Veranda über den See. Oft gab es eine Brise, die ihn erregte. Später am Nachmittag plantschte er vielleicht im Wasser, nie allzu enthusiastisch, aber er war gern mit anderen zusammen am Wasser. Er liebte es, in meinen Schoß gebettet in einem Kajak hinauszufahren, und ließ seine Hände an den Seiten entlang gleiten wie ein Insekt, das die wässrige Oberfläche der Welt abtastet. Ich redete auf ihn ein, sprach ihm ins Ohr. »Siehst du die Bäume, wie das Grün überall ganz unterschiedlich ist? Oder die Wasserrutsche? Das würde dir bestimmt gefallen.« Er liebte es, wenn man so zu ihm sprach. Er liebte eine Menge Dinge oder schien es jedenfalls zu tun. Ich schwatzte weiter in sein Ohr, endlos, aber es störte mich nicht, dass er nie antwortete. Er brachte mich dazu, mich zu ihm vorzuwagen, und aus unerklärlichen Gründen bin ich ihm dankbar dafür und werde es immer sein. Wo wäre ich jetzt, ohne ihn? Er war so ein kleiner Junge, federleicht und völlig abhängig: Wer bei ihm war, war seine Welt, und ich liebte es, seine Welt zu

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