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Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Titel: Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Brown
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Verstopfungen, Ausschläge, Blutungen, Austrocknung und Verstopfung gleichzeitig (bei mindestens einer unvergesslichen Gelegenheit), Zahnschmerzen und – am allerhäufigsten – unaufhörliches Weinen. An einem Abend war ich im Hospital for Sick Children um 23:30 und blieb bis Mitternacht, und war am nächsten Morgen von 9:00 bis 12:00 wieder da.
    Die Realität wird zur Hölle in 3-D in der Notaufnahme eines Kinderkrankenhauses. Der automatische Lärmpegel setzt sich schon mal gewöhnlich aus dem Weinen von einem halben Dutzend Kindern zusammen, die gleichzeitig in verschiedener Tonlage und Tonleiter weinen. Rossini hätte daraus eine Oper komponiert. Das Personal springt von einer Krise zur nächsten, menschliche Bälle in hellblauen und grünen Kitteln, dem Wohlergehen der Kinder absolut hingegeben: Übereifrige Mitmenschen, überarbeitete Schwestern, ruhig wie Rohr, darüber schweben die Ärzte, die versuchen, nicht zu tief in die Auseinandersetzung, das Schreien, Pissen, Kotzen, den ganzen Schmerz, hineinzugeraten. Und dann natürlich der gleichermaßen raue Laut, den man nicht wirklich hören kann, den man aber immer genauso laut in den Ohren spürt – die Ängste der Eltern. Einige von ihnen sind unhöflich und mischen sich bei den Ärzten und Krankenschwestern ein und sorgen sich und drängeln sich mit ihren Kindern vor, weil es bei ihnen dringlicher sei als bei einem selbst oder weil sie schon länger warten. Es gibt zwei Kategorien von Müttern in der Notaufnahme: Die einen, die es hassen, hier zu sein, und die anderen, die es heimlich lieben, weil sie hier endlich unter lauter Leuten sind, die die überragende Bedeutung ihres Kindes anerkennen. Die Notaufnahme bietet das volle soziologische Spektrum: sonst gesund wirkende Kinder mit seltsamen blutigen Striemen an ihren ahnungslosen Beinen (Blutkrankheit), allein erziehende Mütter mit vier sehr blassen, unterernährten Kindern aus Häusern, die ich in meiner Vorstellung sehen konnte, mit zu vielen Kabeln im Schlafzimmer (das jüngste hat seit vier Tagen ununterbrochen eine Temperatur von 39 °C), aneinander gekauerte, gut gekleidete Familien, die mit dem Drama einer post-operativen Untersuchung nicht vertraut sind (Camping-Unfall, ein Messer im Kopf, knapp neben dem Sehnerv, kein Sehschaden, auch nichts im Gehirn, aber eine dauernde Bewegungseinschränkung im linken Arm).
    Wer waren diesmal die Glücklichen? Wer würde da bleiben, und wer würde erleichtert aufseufzen und wieder gehen können?
    Meine eigene Sorge hüpfte hin und her. Ist es eine Erkältung? Nein, es ist Krebs. Nein, es ist eine Erkältung. Die Ärzte waren immer verwirrt von Walkers Zustand, stellten immer dieselben Fragen, wollten wieder und wieder dieselben Einzelheiten wissen.
    Ja, er ernährt sich vollständig mit Hilfe der Magensonde.
    Ja, wir haben versucht, ihn zu füttern.
    Chloralhydrat. Ja, auf Rezept.
    Es sind nicht seine Ohren. Ich weiß, dass es nicht seine Ohren sind, weil ich wegen seiner Ohren schon gestern hier war, und weil er nicht so weint, wenn es bloß seine Ohren sind.
    Ja, Herr Doktor, ich habe gewartet. Ich habe fünf Tage lang gewartet, während derer er ununterbrochen geschrien hat, bevor ich auch nur daran gedacht habe, ihn hierher zu bringen.
    All diese Plüschtiere im Krankenhausladen in der Eingangshalle dieses großartigen Kinderkrankenhauses mitten im Zentrum dieser großartigen genialen Stadt! Und doch war dieser Ort voller Ärzte, die meinem Jungen nicht helfen konnten. Ich entwickelte ein gewisses Maß an Skeptizismus gegenüber dem ärztlichen Beruf, das sich zu erkennen gab, nachdem mir der vierte Arzt in Folge Dinge erklärt hatte, die ich bereits wusste. Manchmal bemerkten sie meine Skepsis und gaben stillschweigend zu, wie hilflos sie selbst waren, was dazu führte, dass ich sie wieder mochte. Manchmal erkannten sie meine Frustration und hielten sich von mir fern.
    Ich entwickelte eine geradezu geologische Geduld. Ich kannte das Krankenhaus inzwischen wie meinen eigenen Keller, all die Tricks dieses Ortes: Das praktischste Ende der Parkgarage (auf Ebene zwei, schon bevor die erste voll war, in der Nähe des nördlichen Fahrstuhls), wo man sich das Parken bestätigen lässt, die beste Zeit, um sich für den besten Kaffee anzustellen (vor 7:45 am Morgen oder nach 11:00), wie man sich am Rezeptschalter in der Apotheke am besten anstellt, um die Wartezeit zu verkürzen. Ich wusste aus dem Gedächtnis, wo man die Physiotherapie, die MRT , die Zahnklinik

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