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Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Titel: Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Brown
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Mein Bruder, der in Boston wohnte, und sein Partner Frank hatten es angeboten, aber ich brachte es nicht über mich, ihnen das zuzumuten: Sie hatten keine Kinder, und ihr Haus war viel zu perfekt, um irgendetwas darin zu beschädigen. Die Schwester meiner Frau war Single und wohnte in Los Angeles, wir hatten niemanden aus der Familie in der Nähe und keine große Gemeinschaft in dieser Stadt. Es war nicht nur eine zu große Bitte, es war einfach unvorstellbar.
    »Unsere engsten Freunde haben Walker in ihr Leben integriert, als wäre er eins von ihren eigenen Kindern«, sagte ich. »All diese Wochen in den Häuschen, die Abendessen bei ihnen zu Hause. Das mussten sie doch nicht tun.«
    »Aber eine Nacht? Ich hätte für sie mehr als das getan.«
    »Aber du weißt auch, was das bedeutet. Du hast ein Kind wie Walker. Sie nicht. Die meisten Leute geraten in Panik.«
    Während wir in die schwarze Nacht hineinsprachen, berührten sich unsere Körper, erinnerten sich an Glück und gute Zeiten.
    Es war eine zu große Bitte.
    Bei Abendessen, die wir gaben oder zu denen wir eingeladen waren, aßen wir abwechselnd, einer aß, der andere marschierte mit Walker an der Hand herum, damit er ruhig blieb. Wenn er seine Launen hatte und gereizt war, wenn er unkontrolliert seinen Kopf irgendwo gegen zu schlagen begann, setzte ich ihn mir auf die Schulter oder schnallte ihn in seine Kinderkarre und ging mit ihm nach draußen: Wir würden losgehen und zwanzig Minuten später wieder zurückkehren. Wenn ich irgendetwas an seiner Windel roch, verschwand ich schnell mit ihm. Wir bestanden darauf, ein normales Leben mit normalen Sitten und Gebräuchen zu führen. »Der ist schon okay«, sagten Freunde zu mir, wenn sie uns zum Abendessen oder auf ein paar Drinks einluden, aber ich kannte sein Kreissägen-Geschrei und wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass andere Leute es hörten. Ich wollte nicht, dass sie uns nie wieder einluden, denn sie waren alles, was wir hatten. In jenen Tagen dachte ich immer noch, Walker sei ein Spiegelbild von mir, ich sah ihn nicht als von mir getrenntes Wesen. Wenn er ruhig war, ging Walker von Gast zu Gast, kroch jedem auf den Schoß, spielte mit Uhren und Armreifen und sabberte auf Hosen und Hemden. Er erinnerte uns nicht nur ständig an seine Gegenwart, sondern auch an die Existenz aller Kinder, die wie er waren, dieser Kinder, die wir so oft zu vergessen versuchen. Aus diesem Grund neigten wir dazu, unsere Gäste sehr sorgfältig auszuwählen. Wenn er sich an jemanden klammerte, intervenierte ich: »Hier, ich nehme ihn.« Manche widersprachen und sagten mir, ich solle wieder gehen, viele dagegen nicht. Man konnte die Scheu in ihren Augen sehen, in ihrer Haltung: Sie redeten weiter, hatten aber nichts dagegen, wenn ich ihn wegnahm. Wer könnte ihnen einen Vorwurf daraus machen?
    Johanna war in der Hinsicht besser: Sie ließ andere nach ihm schauen, mit ihm herumlaufen, bei ihm sitzen. Sie schien das Gefühl zu haben, dass das seine, ihre, unsere Sache war, während ich buchstäblich sprang, um ihn ihnen aus den Händen zu reißen. Ich wollte nicht, dass irgendjemand ihn ablehnte, also versuchte ich, von Anfang an die Möglichkeit einer Ablehnung zu vermeiden. Auf diese Weise hatte ich das Gefühl, er sei mein Junge. Ich würde nicht zulassen, dass ihn irgendjemand verletzte, er war schon genügend verletzt, und so würde ich seine Arglosigkeit in meine Dauerpräsenz hüllen, um ihn vor allem zu schützen, auch vor Zurückweisung. Wir waren in dieser Sache miteinander verbunden, er und ich, und die anderen waren ganz egal. Man konnte auf mich einschlagen, aber an ihn kam man nicht heran. Als würde man Schläge einstecken: Man duckte sich, ging in die Hocke, überlebte, bis die Schläge nicht mehr auf einen niederprasselten. Es war das Mindeste, was ich als Vater tun konnte, und zumindest das tat ich.
    Deshalb nahmen wir ihn auch mit, in Flugzeuge und ins Auto. Im Auto war es leichter: Hayley, Olga und Walker auf dem Rücksitz, Johanna und ich vorn, und alles, was wir brauchten, war auf zwei Ladungen verteilt, das Zeug, das wir wegpacken konnten im »Ganzweitweg« (so nannten wir das), und den Krempel, den wir in der Nähe haben mussten, für Walker. Der Haufen, der greifbar sein musste, umfasste den Buggy, mindestens eine Riesenpackung mit sechsunddreißig Windeln, ein oder zwei Schachteln Milchersatznahrung, ein kleiner Kühlbehälter für Medikamente, frische Kleidung und Lätzchen und Halstücher –

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