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Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Titel: Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Brown
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Dolmetscher hin und her. Ich war nervös, aber es störte sie nicht, und so kümmerte ich mich auch nicht mehr darum.
    Die Schamanin zündete sich eine Pfeife an. Sie zündete etwas Salbei an. Sie begann zum Auftakt mit einem langen Sprechgesang. Sie sprach Walkers vollständigen Namen aus: Walker Henry Schneller Brown. Sie rief den Westwind an, dann alle anderen Winde und rief dann nach Walker. Da war schon eine Menge Rauch in dem Raum, und ich hatte rasende Kopfschmerzen. Dann sagte die Schamanin: › Das Tor taucht auf. ‹ Und der Dolmetscher sagte: › Okay, es geht los. ‹
    Die Schamanin sagte: › Ich sehe einen Baum. Er ist alt und neu. Teile davon sind tot und andere Teile lebendig. Auf den Baum fällt Licht. Er ist voller singender Vögel. Auf der anderen Seite vom Tor ist ein Brunnen odereine Grube. ‹ Die Schamanin sang das alles, und der Dolmetscher übersetzte. Ich fasse es zusammen. › Ich sehe einen Brunnen, der so tief ist, dass man kaum das Wasser sieht ‹ , sagte sie. Und sie sagte: › Ich sehe eine Menge Älteste. ‹ «
    Ich war immer noch im Flur, hatte das Jackett an, hörte zu.
    » › Die Ältesten waren gekommen, um Walker zu sehen ‹ , sagte die Schamanin. Es waren mehr als sonst. Vielleicht kannten sie ihn? Vielleicht war Walker einer von ihnen. Vielleicht war Walker ein Ältester. Sie konnte es nicht sagen. Aber sie schienen ihn jedenfalls zu kennen.«
    »Die Schamanin sagte, Walker sei ein Ältester?« Das war Tecca.
    »Sie war sich nicht sicher. Nach der Zeremonie sagte der Dolmetscher, der Baum sei Walkers Leben, und die singenden Vögel darin seien wir alle. Der Brunnen war Walkers Suche. Und Walkers Suche, der Zweck seines Lebens, war zu prüfen, ob er sein Spiegelbild im Wasser am Fuße des Brunnens sehen konnte.«
    »Ach, hör doch auf.« Das war ich.
    »Das hat sie gesagt. › Dies ist der Pfad, den er für sich selbst gewählt hat, zu prüfen, ob er sein Spiegelbild sehen kann. Er kann es vielleicht, oder er kann es nicht, aber das ist seine Suche. ‹ Dann fragte der Dolmetscher, ob ich eine bestimmte Frage an die Schamanin hätte. Ich sagte ja. Was war mit dieser neuen Wohngruppe, war sie gut für ihn? Sollte ich ihn da hingehen lassen?«
    »Und die Schamanin sagte: › Sie wird seinen Pfad verändern. Aber sein Pfad ist sein Pfad. Er muss seinen eigenen Pfad gehen. ‹ Dann fragte ich, warum er selbstverletzend war, warum er sich selbst schlug. Und die Schamanin sagte, er versuche herauszufinden, welche Form sein Spiegelbild im Brunnen habe.«
    Ich wollte mich im Flur auf den Boden legen.
    »Es war eine riesige Erleichterung für mich«, sagte Johanna. »Weil zum ersten und zum einzigen Mal jemand nicht versucht hatte, ihn zu heilen. Sie beschrieben ihn bloß. Es gab keine Beurteilung oder Angst. Es war einfach sehr akzeptierend. Und ich glaube wirklich, dass das ein Wendepunkt für mich war. Statt den Versuch zu machen, Walker zu heilen oder ihn besser zu machen oder zu diagnostizieren oder zu prüfen, was diesen Zustand verursacht hatte, ging es nur darum, was und wer er ist. Dies ist, was er tut. Es war kein Triumph oder eine Tragödie. Es war einfach bloß.«
    Schweigen. »Na«, sagte Cathrin, »wenn ich gewusst hätte, dass er ein Ältester war, dann hätte ich ihm vielleicht nicht erlaubt, mir dauerndin die Bluse zu gucken, wenn er mir auf den Schoß geklettert ist. Nachher stellt sich heraus, er ist ein geiler alter Bock.«
    Tecca machte eine winzige Pause. »Geiler alter Schamane .«

Acht
    IN DEM SOMMER , in dem Walker elf wurde und in seiner Wohngruppe lebte, beschloss ich, ins Auto zu steigen und loszufahren. Ich spürte den Drang – die Verlockung wäre noch zutreffender, so seltsam das klingen mag – einige der anderen Menschen auf der Welt ausfindig zu machen, die so waren wie er. Es gab nur etwa hundert von ihnen, und sie waren über die ganze Welt verstreut: Australien, Dänemark, Großbritannien, Japan, die USA . Der nächste kanadische Fall, von dem ich wusste, war tausend Meilen entfernt in Saskatchewan. Wenn ich jetzt daran denke, war es eine andere Form, an meinem Jungen festzuhalten, auch wenn wir ihn losgelassen hatten.
    Mein erster Halt war Kalifornien. Das nahm ein paar Wochen in Anspruch. Johanna hatte nichts dagegen, wenn ich unterwegs und deshalb nicht zu Hause war: Sie stand mir nie im Weg, wenn ich auf diese Weise versuchte, Walker näher zu kommen. Das war schon immer so gewesen, seit den Anfangszeiten, als er noch neu war und sie Angst

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