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Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Titel: Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Brown
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Reihe von Highways, eine rasche Abfolge von Röhren aus Licht entlang, die mich eine lange Zeit weiterführten, bis sie mich schließlich auf einem Parkplatz vor einem Hotel ausspuckten. Mit dem Navi hatte ich das Gefühl, sehr schnell irgendwo hinzukommen. Die Kehrseite war, dass ich nie eine Vorstellung davon bekam, wo ich eigentlich im Großen und Ganzen war. Das Navi brachte einen direkt dahin, wo man hinwollte, und ersparte einem die weniger effizienten Umwege. Genau wie ein CFC -Gen, wie sich dann herausstellte.
    Die genetischen Forschungslabors am Comprehensive Cancer Center in San Francisco, wo Kate Rauen arbeitete, waren beleuchtet wie das Innere eines Kühlschranks und übersät mit Fachbüchern, Röhren, Pfropfen, Waagen und Genchip-Scannern. Die wissenschaftlichen Aufsätze, die die Genetiker schrieben – hauptsächlich füreinander – trugen Titel, die für einen Laien vollkommen unverständlich waren, wie »Keratosis pilaris/Ulerythema ophryogenes und 18p-Deletion: Ist es möglich, dass das LAMA 1-Gen beteiligt ist?« Die Genetiker selbst ähnelten in mancher Hinsicht leicht irritierten Soldaten, die gerade aus dem Dschungel heimgekehrt sind, nur um zu erfahren, dass der Krieg, in dem sie noch immer gekämpft hatten, schon seit zwanzig Jahren vorüber war. Sie mochten ungewöhnliche Bildschirmschoner: Zum Beispiel das Foto von einer Katze, die in einem winzigen Katzenhäuschen in Form einer Blockhütte schläft. (Ich betrat einmal einen Fahrstuhl voller junger Genetiker, die von der Arbeit nach Hause gingen. Es war Halloween. Zwei Wissenschaftlerinnen trugen Teufelshörner. »Geht ihr heute Abend noch aus?«, wagte einer der Männer zu fragen. Die Frauen schüttelten ihre Köpfe. Ich kann nicht behaupten, dass es mich überraschte.)
    Am Morgen, als ich in Rauens Labor aufkreuzte, goss ihre Kollegin Anne Estep Flüssigkeit in Petrischalen. Die Petrischalen enthielten Klone von neunundzwanzig verschiedenen Mutationen eines Gens, das Estep und Rauen in der DNA von Menschen mit CFC isoliert hatten. Rauen war noch nicht zur Arbeit erschienen, und so stellte sich Estep – eine sympathische, blonde Frau in den Dreißigern, die sich offen zu ihrer Liebe für die Arbeit im Labor bekannte –, der Herausforderung, mir die komplizierte Genetik von CFC zu erklären.
    Sie sah den ganzen Prozess von einer höheren wissenschaftlichen Warte aus, als Beweis für die Eleganz der menschlichen Biologie. »Es gibt so vieles, was bei der Empfängnis schief laufen kann«, sagte sie. »Die Mehrzahl der Schwangerschaften wird spontan abgestoßen oder sehr, sehr früh in der Schwangerschaft ausgeschieden – damit sorgt die Natur dafür, dass nur die richtige Kombination zum Zuge kommt. Dass man überhaupt geboren wird, macht einen schon zu einer Minderheit unter den Empfängnissen – es musste schon sehr viel richtig funktionieren, um überhaupt bis zu diesem Punkt zu gelangen.«
    Das war ein neuer Weg, Walker zu verstehen – statt zerstört zu sein, war er nur leicht defekt, wie ein verbilligtes, aber absolut tragbares Paar Schuhe in einem Outlet-Center. Er war immer noch »eine genetische Konfiguration«, wie Estep es nannte, »die mit dem Leben vereinbar ist, ein lebendes, atmendes menschliches Wesen. Also gibt es ein breites Spektrum. Sie alle haben zwei Arme, zwei Beine. Die meisten Kinder haben eine Bandbreite von Gefühlen. Sie sind menschlich.« Zwei Wochen, bevor ich sie kennen lernte, hatte man Estep Emily Santa Cruz vorgestellt – ihre erste Begegnung mit einer atmenden Verkörperung der CFC -Gene, die sie seit acht Monaten in einer Schale im Labor studiert hatte. Sie fand die Begegnung »sehr bewegend«, obwohl sie überrascht gewesen war, wie sie leise sagte, »wie schwerwiegend ihre Behinderung war.« Selbst bei einer so passionierten Wissenschaftlerin wie Estep klaffte eine große Lücke zwischen dem Leben, das sie im Labor studierte, und dem Leben selbst.
    Kate Rauen war Anfang vierzig, klein, blond und außerordentlich dynamisch. Sie hatte ein Büro am UCSF Children’s Hospital auf der anderen Seite der Stadt, wo sie eine Klinik betrieb, ebenso wie eine weitere am Comprehensive Cancer Center. Sie war sehr gut darin, komplizierte genetische Prozesse zu erklären. »Hier ist das Chromosom«, sagte sie später am Nachmittag zu mir, während sie Kreise auf ein Stück Papier malte, um zu erklären, wie eine Zelle arbeitet. »Auf diesem Chromosom befindet sich Ihre DNA . Auf dieser DNA sind Gene angeordnet.

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