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Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Titel: Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Brown
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glücklich, dass er glücklich ist. Manchmal bricht es einem das Herz, weil er in seiner eigenen kleinen Welt feststeckt. Aber manchmal frage ich mich auch, ob er es dort nicht besser hat. Manchmal – weil er mit einem Lächeln ins Bett geht und mit einem Lächeln wieder aufwacht – denke ich, dass er die ganze Zeit glücklich ist. Ich denke das wirklich gern.«
    Das ist eine weit verbreitete Ansicht unter Eltern von CFC -Kindern. Was sie bei Angie Lydicksen umso bemerkenswerter machte, war die Tatsache, dass bei ihr sechs Monate, bevor sie diesen Gedanken im Mai 2007 mir gegenüber zum Ausdruck brachte, Lungenkrebs diagnostiziert worden war. Aber sie dachte weniger an ihre eigene Gesundheit als an den Wert ihres Sohnes für die übrige Welt.
    »Oh Gott, er hat uns so viel gegeben«, erzählte sie mir an dem Tag, als sie schon wusste, dass sie sterben würde. »Er hat uns beigebracht, das Leben so zu nehmen, wie es ist, sich mit dem auseinanderzusetzen, was gerade anliegt. Man kann entweder in einer Klemme stecken bleiben, oder man klaubt die Teile zusammen und macht, so gut es geht, weiter. Gleich nachdem Luke geboren worden war, haben wir unser Leben geändert. Wir haben einen Wohnwagen gekauft und sind Campen gefahren, weil er das mag. Eine der wichtigsten Sachen, die Luke uns beigebracht hat, ist, zu akzeptieren, dass er anders ist, und keine Angst vor ihm zu haben. Das ist so anders als zu der Zeit, als wir noch Kinder waren. Wir haben uns immer von behinderten Kindern ferngehalten. Aber heutzutage spielt jeder mit ihm.« In seiner Schule kennt man Luke als den »Bürgermeister«. »Die ganze Zeit habe ich gedacht, wenn er damit klarkommt, was er macht, dann kann ich das hiermit auch.« Sie meinte, mit ihrem eigenen Krebs klar kommen. Luke schien die Dinge zu relativieren. Wenn andere Mütter sich darüber beklagten, dass ihr Kind die Nacht nicht durchgeschlafen hatte, versuchte sie, nicht zu lachen. »Nicht die Nacht durchgeschlafen! Oh mein Gott! Ich habe seit neun Jahren keine Nacht mehr durchgeschlafen.«
    Sie wollte für immer bei ihm sein und bekam Angst, als sie krank wurde, dass niemand in der Lage sein würde, sie zu ersetzen. Aber in jüngster Zeit hatte sie ihre Meinung geändert. »Auf die Dauer ist er sehr anpassungsfähig.« Ihre eigene schwere Erkrankung verstärkte nur, was Lukes Behinderung bereits bewerkstelligt hatte. »Ohne ihn wäre ich mehr an materiellen Werten interessiert gewesen«, sagte Angie. »An Dingen. Und jetzt ist es einfach so, dass ich auch ohne sie kann. Ich brauche sie nicht. Hauptsache, man hat seine Gesundheit, Leute, die man liebt und eine Familie, die stark ist …«
    Mit Angie Lydicksen zu sprechen, war, wie mit allen Eltern zu sprechen, die die Höhen und Tiefen erlebt haben, ein Kind aufzuziehen – diese ständige unterschwellige Angst, die von explodierender Panik und Sorge, Stolz und Frustration, Erschöpfung und Freude akzentuiert wird. Der Unterschied war der, dass Lydicksen es sich nicht leisten konnte, dem übertriebenen Gefühl der Isolation nachzugeben, das einen Vater oder eine Mutter glauben lässt, sie seien die einzigen, denen dies oder jenes widerfahre. »Ich fange nicht an, mich zu beklagen«, erzählte mir Angie an jenem Tag am Telefon.
    Im folgenden Frühling starb sie an Lungenkrebs. Sie war zweiundvierzig Jahre alt. Luke lebt immer noch mit seinem Vater zusammen.
    Ich habe immer nach einem Zusammenhang gesucht, in dem Walker einen Sinn bekam, in dem sein desorganisiertes Leben (und meine unvermeidliche Fürsorge dafür) vielleicht eine größere Bedeutung innewohnte, ein höherer Zweck. Ich dachte, ich würde ihn vielleicht in den Leben anderer Kinder mit CFC finden und im Beispiel ihrer Eltern. Zu meiner Überraschung – auch wenn es manchmal beruhigend war, zu wissen, dass er Teil einer größeren Gemeinschaft war und ich nicht allein – war das Wesen dieser Gemeinschaft (hundert Kinder und ihre Eltern, unsichtbar in der großen Welt, die verzweifelt versuchten, ihren Schmerz zu unterdrücken und den abnormalen Umständen eine gewisse Ähnlichkeit mit einem normalen Leben abzutrotzen) komplizierter, als es auf den ersten Blick aussah, manchmal ebenso entnervend wie beruhigend. Ich wusste jetzt, dass »Walker und seine Art«, wie Johanna es nannte, nicht völlig einzigartig waren. Was ich aber immer noch herausfinden musste, war, warum er so war, wie er war. Und so wandte ich mich der Wissenschaft zu, um zu sehen, ob das Labor mir meinen Jungen

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