Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)
Schmuck herstellten, an ihre Arbeit zurück, andere gingen spazieren. Es war eine Gemeinschaft für die Behinderten, das war gar keine Frage, aber weil die Behinderten als gleichwertig behandelt wurden und sich selbst als gleichwertig betrachteten, fühlte es sich überhaupt nicht wie eine »spezielle« Einrichtung an. Dies war ihre Welt, nicht unsere, dies waren ihre Maßstäbe, nicht unsere. Das Leben verlief langsamer, das Leben selbst war einfacher, es gab Verzögerungen und Probleme, aber niemand nahm sie ernst. Es war ein angenehmer Ort und vermittelte einem nicht das Gefühl, dass das Leben anders sein sollte.
Ein paar Monate, nachdem ich L’Arche besucht hatte, machte sich ein Freund bei einer Party in Toronto über Jean Vaniers Güte lustig. »Es ist einfach schwer zu akzeptieren, dass ein Mensch mit seiner Intelligenz und seinen Möglichkeiten mit solchen Menschen zusammenleben will«, sagte mein Freund. »Aber vielleicht wollte er einfach nur immer sicherstellen, dass er der klügste Mann im Raum ist.« Was, wie er schnell zugab, ein schrecklicher Scherz war, über den Vanier genauso schnell gelacht hätte.
Aber an diesem Scherz war etwas Wahres dran. Vanier hatte einen imposanten Ruf, das Resultat eines Lebens, das darauf aus gewesen war, etwas zu erreichen. Er hatte L’Arche gegründet. Er war ein ewiger Kandidat für den Friedensnobelpreis und hatte Dutzende von Pamphleten und Büchern geschrieben, einschließlich des internationalen Bestsellers Einfach Mensch-sein .
Aber als Mensch war Vanier alles andere als einschüchternd. Sein Haus – das Haus, in dem er wohnt, wenn er nicht für L’Arche durch die Welt reist – ist ein winziges Landhäuschen aus Stein, das an der Hauptstraße von Trosly-Breuil liegt. Drinnen fand ich, in einem voll gestopften Arbeitszimmer, das von einer kleinen Küche abging, einen groß gewachsenen, schüchternen, bescheidenen, weißhaarigen Mann in einem hellblauen Pullover.
Jean Vanier wurde am 10. September 1929 in Genf in der Schweiz geboren, als sein Vater, Georges Philias Vanier, ein General der Kanadischen Armee im Ruhestand, dort in diplomatischer Mission stationiert war. Vanier ging in England zur Schule, kehrte aber beim Ausbruch des Zweien Weltkriegs aus Sicherheitsgründen wie viele andere Kinder zu seinen Brüdern nach Kanada zurück.
Spät im Jahre 1941 bat er seinen Vater um ein Gespräch. Da sein Vater zu diesem Zeitpunkt der neunzehnte Generalgouverneur von Kanada war, musste er dazu einen Termin mit ihm vereinbaren. Jean wollte sich der British Navy anschließen, und dazu das Royal Naval College in England besuchen. Er musste die gefährlichen Wasser des Atlantiks überqueren, eine Vorstellung, die die Mutter entschieden ablehnte. Aber sein Vater war anderer Meinung. »Wenn es das ist, was du wirklich tun willst«, sagte Georges Vanier zu seinem Sohn, »dann geh. Ich vertraue dir.« Vanier erinnerte sich später an dieses Gespräch als an einen Schlüsselmoment in seinem Leben.
Er war zu jung, um noch aktiv zu dienen, aber er wurde Zeuge der Befreiung von Paris und half in den folgenden Jahren, die Rückkehr von Überlebenden aus den Konzentrationslagern in Dachau und anderswo zu organisieren. 1950 wurde er auf Kanadas größten Flugzeugträger versetzt.
Auf dem Meer begann sich Vanier dann zu fragen, ob er wirklich bei der Navy sein wollte. Er begann zu beten. Später schrieb er in Gemeinschaft heißt zu Hause sein , seinem Bericht über seine spirituelle Berufung, dass er begonnen hatte, sich »zu einer anderen Form der Arbeit für Frieden und Freiheit« berufen zu fühlen. Er befolgte das Hochamt mit mehr Aufmerksamkeit als die Nachtwache. Er hatte das Gefühl, von Gott berufen zu sein, und nach ein paar Jahren quittierte er den Dienst bei der Marine und begann, Philosophie und Theologie am L’Institut Catholique in Paris zu studieren. Er wurde außerdem Mitglied bei L’Eau Vive, einer kleinen Gemeinschaft von Studenten, die sich unter der Anleitung eines Priesters der französischen Dominikaner, Père Thomas Philippe, dem Gebet und der Metaphysik widmeten. Kurz nach Vaniers Eintritt wurde Père Thomas krank. Vanier wurde gebeten, die Gemeinschaft zu leiten, was er sechs Jahre lang tat.
»Ich nehme an, ich hüpfte so in der Gegend herum«, erzählte mir Vanier an jenem Nachmittag bei einer Tasse Tee. »Ich war Marineoffizier gewesen, ich war zu einer Gemeinschaft in der Nähe von Paris dazugestoßen. Ich war auf der Suche. Ich wusste nicht
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