Der Junge mit dem Herz aus Holz
gut, wenn bei so wichtigen Entscheidungen beide Eltern beteiligt sind.«
»Ich habe keine Frau«, sagte Poppa nur. Er fügte nichts weiter hinzu, denn es war eine komplizierte Angelegenheit, und er wollte nicht, dass ich mehr Probleme bekam als unbedingt nötig.
»Das macht nichts«, erwiderte Mrs Shields, die sich offensichtlich freute, dass es keine Rivalin gab. »Wir haben hier in unserer Obhut ganz verschiedene Kinder. Zum Beispiel haben wir ein Mädchen, das die ersten fünf Lebensjahre im Dschungel verbracht hat. Sie spricht immer noch eine eigenartige Mischung aus Englisch und Äffisch und heißt Daphne. Ihr zwei werdet euch bestimmt glänzend verstehen.«
»Wer weiß«, murmelte ich skeptisch.
»Und dann gibt es noch einen Jungen, der früher ein Elefant war, bis es ihm kurz vor Weihnachten gelungen ist, diesem Leben zu entkommen«, fuhr Mrs Shields fort. »Irgendwie hatte es mit drei Wünschen zu tun, glaube ich. Aber er muss sich erst noch zurechtfinden und hat ziemliche Probleme, muss ich gestehen. Er versucht immer noch, sein Mittagessen durch die Nase zu essen, und das ist eine ziemliche Ferkelei.«
»Das ist ja eklig«, sagte ich, und Mrs Shields schaute mich irritiert an. Ihre Miene wurde etwas kühler.
»Was für ein aufgeweckter Junge«, sagte sie nur.
Als ich am nächsten Morgen zum ersten Mal das Klassenzimmer betrat, drehten sich sofort alle nach mir um: alle Jungen, alle Mädchen, jedes Pult, jeder Stuhl. Die Tafel sprang sogar vom Haken, weil sie so kurzsichtig war, und kam ganz dicht zu mir, um mich zu beschnuppern, bevor sie wieder zurück an die Wand lief, den Kreidestaub abschüttelte und vor sich hin brummelte:
Nein, der schafft es nicht. Der schafft es nie und nimmer.
»Der Platz ist besetzt«, sagte ein ziemlich fieser Junge namens Toby Lovely, der sich für etwas Besseres hielt, für besser als alle anderen in der Klasse. Er saß immer direkt vor der Lehrerin, um sich bei ihr einzuschleimen, und als ich näher kam, legte er schnell seine Bücher auf das leere Pult neben sich.
»Tut mir schrecklich leid«, sagte ein ziemlich hässliches Mädchen namens Marjorie Willingham. Sie hatte Zöpfe mit rosa Schleifen, und die Mädchen um sie herum kicherten alle wie bekloppt. »Der Platz hier ist leider auch nicht mehr frei. Und bitte, sprich mich nicht an. Ich unterhalte mich nicht gern mit Leuten, die ich nicht kenne.«
Ich ging weiter und wurde immer mutloser, weil alle mich abwiesen, Jungen wie Mädchen. Schließlich kam ich zur hintersten Reihe und schaute hoffnungsvoll auf den letzten Platz, der noch übrig war.
»Du kannst hier sitzen, wenn du willst«, sagte der Junge, der am Pult daneben saß. Sein Name war Jasper Bennett, und er hatte lauter Beulen und blaue Flecken im Gesicht. Er räumte das Pult ab und holte einen zweiten Stuhl. Dankbar setzte ich mich hin und lächelte meinem Pultnachbarn zu. Jasper schaute mich an, blinzelte, und in seinen Augen bildeten sich große Tränen. »Mich hassen auch alle«, sagte er, nachdem er lange geschwiegen hatte.
»Jasper!«, schrie Mrs Shields, knallte den Tafellappen auf den Tisch und warf ein Stück Kreide nach meinem Nachbarn, das ihn am Ohr traf und dann auf den Boden fiel, wo es sich aufrappelte und langsam wieder zurück zum Lehrerpult tippelte. »Ich habe dir doch gesagt, dass man im Unterricht nicht reden darf, stimmt’s? Stimmt’s?«
»Ja, aber –«, begann Jasper, doch Mrs Shields unterbrach ihn sofort.
»Jasper!«, brüllte sie. »Kein Wort mehr!«
Bis ich endlich mit den anderen Kindern in der Klasse irgendwie Freundschaft schloss, das dauerte eine Ewigkeit, was hauptsächlich daran lag, dass ich sie noch nicht so lang kannte, wie sie einander kannten.
»Wir wollen hier keine neuen Jungen«, verkündete Toby Lovely an einem Nachmittag. Er kam zu mir, setzte sich auf die Pultecke und schnappte sich einen Holzbleistift, den Poppa für mich gemacht hatte. »Kannst du nicht in eine andere Schule gehen? Die ganze Klasse ist gegen dich.«
»Aber ich kann in keine andere Schule gehen«, antwortete ich mit einem Achselzucken. »Das hier ist die einzige im Dorf. Es sei denn, ihr wollt, dass ich mit den Eseln in die Schule gehe.«
»Na ja, das wäre doch eine Möglichkeit«, sagte Toby Lovely.
»Ich habe Poppa versprochen, dass ich von jetzt an jeden Tag hierherkomme«, entgegnete ich trotzig.
»Du widersprichst mir?«, zischte er mich an und drehte sich zu seinen Freunden um, die alle sofort bestätigten, dass das
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