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Der Junge mit dem Herz aus Holz

Der Junge mit dem Herz aus Holz

Titel: Der Junge mit dem Herz aus Holz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Rollenvorbilder.«
    »Ja, selbstverständlich«, versicherte Toby Lovely. »Sie kennen doch diese Rutschbahnen, die immer im Kreis gehen, und wenn man unten rauskommt, landet man im Schwimmbecken?«
    »Natürlich kenne ich die«, sagte Mrs Shields.
    »Mein Vater hat sie erfunden.«
    »Sehr spannend«, sagte Mrs Shields. »Und deine Mutter?«
    »Sie ist die Erfinderin der Schwimmbecken. Dadurch haben die beiden sich kennengelernt.«
    »Verstehe. Und was ist mit dir? Was möchtest du tun, wenn du erwachsen bist?«
    »Ich werde Hochleistungssportler«, erklärte Toby Lovely. »Immerhin bin ich der schnellste Junge der ganzen Schule.« Er grinste eingebildet und bekam vom Rest der Klasse begeisterten Applaus.
    »Stimmt«, sagte Mrs Shields und schaute sich um. »Nun, waren alle an der Reihe? Wurde niemand ausgelassen?«
    Sämtliche Jungen und Mädchen in der Klasse nickten, nur ich nicht. Was ich sofort bedauerte, denn Mrs Shields merkte es und deutete auf mich.
    »Ich muss mich entschuldigen«, sagte sie. »Und was machen deine Eltern?«
    Ich schluckte nervös und stand auf. »Mein Vater ist Spielzeugmacher«, sagte ich. »Er schnitzt vor allem Marionetten, aber auch andere Sachen. Er ist sehr geschickt mit den Händen.«
    »Wie hübsch«, sagte Mrs Shields. »Alle Menschen brauchen Spielzeug. Jedenfalls bis Ende zwanzig. Und deine Mutter, was macht die?«
    Ich war ein bisschen verblüfft, dass sie mich das fragte, und senkte kurz den Kopf.
    »Ach, natürlich – entschuldige, ich habe es ganz vergessen«, sagte sie. »Du hast keine Mutter, stimmt’s?«
    »Ja, das stimmt, Miss.«
    »Ist sie gestorben?«
    »Nein, Miss«, sagte ich.
    »Ist sie weggelaufen?«
    »Nein, Miss«, sagte ich.
    Darüber schien sie sich zu wundern, und sie fragte mit ernster Miene: »Aber wo ist sie dann? Sie kann sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben.«
    »Ich habe keine Mutter«, sagte ich.
    »Wie – du hast keine Mutter?«, rief Toby Lovely. Er drehte sich zu mir um und starrte mich verständnislos an. »So was Blödes habe ich noch nie in meinem Leben gehört.«
    »Dann hast du noch nie gehört, wie du singst«, entgegnete ich, erstaunt über meinen eigenen Mut. Toby Lovely wusste nicht, was er sagen sollte, glotzte mich nur wortlos an und begann leise zu brodeln.
    Mir war klar, dass die Sache noch nicht ausgestanden war, und tatsächlich, ein paar Stunden später kam Toby Lovely auf dem Schulhof zu mir und versetzte mir einen Schlag auf den Hinterkopf, als Belohnung für meine Frechheit.
    »Wie kann jemand keine Mutter haben?«, rief er. »Du kannst doch nicht aus Holz geschnitzt worden sein oder was.«
    »So was gibt’s eben«, sagte ich. »Ich hatte nie eine Mutter. Und du hattest nie ein Gehirn. Wir haben alle irgendwas, wodurch wir uns von den anderen unterscheiden.«
    Und da war es wieder! Vielleicht hatten mich die vielen Monate der Quälerei dahin gebracht, dass ich es einfach keine Sekunde länger ertragen konnte. Toby Lovely starrte mich an und lachte verblüfft, dann begann er mit dem Fuß zu scharren, wie ein Stier, der zum Angriff übergeht, und schon warf er sich auf mich, und wir rollten uns auf dem Boden, ein Knäuel aus boxenden Fäusten und gezerrten Haaren, während die anderen um uns herumstanden und uns laut anfeuerten, weil sie sich freuten, dass es endlich einmal eine richtige Prügelei zu sehen gab.
    Ich schlug wie wild um mich, und als wir schließlich getrennt wurden – von Mr Wickle, dem Sportlehrer –, stellte ich zufrieden fest, dass ich Toby Lovely eine blutige Nase verpasst hatte. Was mich allerdings weniger froh stimmte, war, dass mein Ohr anschwoll und ich ein blaues Auge abgekriegt hatte.
    »Was soll das?«, rief Mr Wickle. »Auf meinem Schulhof prügelt sich jemand? Das dulde ich nicht! Weshalb streitet ihr euch überhaupt?«
    Ich hielt es nicht mehr aus und schrie, so laut ich konnte: » ER DENKT , ER IST BESSER ALS ICH ! IST ER ABER NICHT !«
    »Bin ich doch«, sagte Toby Lovely.
    »Bist du nicht«, entgegnete ich.
    »Bin ich doch«, sagte Toby Lovely.
    »Bist du nicht.«
    »Bin ich doch.«
    »Bist du nicht.«
    »Okay, okay«, rief Mr Wickle, um uns zum Schweigen zu bringen. »Das reicht, ihr zwei. Hör zu«, sagte er an mich gewandt. »Toby Lovely ist einer der hellsten Sterne, die diese Schule je hervorgebracht hat. Immerhin hat er bei unserem letzten Sportfest vier Goldmedaillen gewonnen. Er läuft schneller als alle anderen, die ich kenne. Wenn er sagt, er ist besser als du,

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