Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Junge mit dem Herz aus Holz

Der Junge mit dem Herz aus Holz

Titel: Der Junge mit dem Herz aus Holz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
Vom Netzwerk:
geschnitzt?«, fragte Noah und hielt Mr Wickle hoch. »Weil dieser Mann dafür gesorgt hat, dass die Kinder Sie nicht mehr quälten?«
    »In gewisser Weise, ja«, sagte der alte Mann. »Aber Poppa mochte ihn gar nicht besonders. Er hat immer wieder gesagt, wenn Mr Wickle nicht gewesen wäre, dann wäre ich in den folgenden Jahren zu Hause geblieben und hätte ihn nicht allein gelassen. Poppa hat mich sehr vermisst, als ich weg war. Wir waren tiefer in den Wald gezogen, damit ich nicht mehr so viel Unsinn anstelle, aber stattdessen habe ich dann etwas anderes gefunden. Poppa machte diese Marionette, damit er sie böse anschauen und sie schütteln konnte, wenn er wütend auf mich wurde.«
    »Wie ungewöhnlich«, sagte Noah und legte die Puppe vor sich auf den Tisch.
    »Weißt du – Mr Wickle hat sofort gemerkt, dass meine Beine unglaublich stark sind, und trug mich für alle möglichen Sportarten ein: für Fußball und Rugby, für Tennis und Lacrosse, Badminton und Hurling, Tauchen und Fallschirmspringen, Rafting und Fahrradfahren, für Autorennen und Synchronschwimmen, Basketball und Laufen, Klettern und Rudern, Segeln und Bogenschießen, Baseball und Boxen, und schon bald wusste jeder, dass ich der größte Sportler war, den es im Dorf je gegeben hatte. Sogar der Polo-Lehrer lud mich ein, an den Polo-Kursen teilzunehmen, aber da habe ich dankend abgelehnt.
    ›Nein, Polo mag ich nicht‹, sagte ich zu ihm.«
    »Ich kenne keinen, der so viele verschiedene Sportarten macht«, sagte Noah.
    »Ja, stimmt, aber am liebsten bin ich gelaufen«, sagte der alte Mann. »Jeden Tag hat Mr Wickle meine Zeit gestoppt, wenn ich aus der Schultür gerannt bin, die Straße entlang, in den Wald und wieder heraus, die Straße hinauf, quer durchs Dorf, an meinem Freund, dem Esel, vorbei und wieder zurück auf den Schulhof. Und er sagte, ich sei begabter als alle Jungen, die er kennt. Und er kannte einige.
    ›Aber hier ist ein guter Rat für dich‹, sagte er und legte mir schwer die Hand auf die Schulter. ›Wenn du deine Zeit verbessern willst, musst du schneller laufen.‹«
    »Klingt logisch«, sagte Noah nachdenklich.
    »Ja, allerdings. Und ich bin tatsächlich schneller gelaufen. Als das Schulsportfest kam, habe ich jedes einzelne Rennen gewonnen, und am Ende des Tages versammelten sich die anderen Jungen, um mich im Triumphzug auf den Schultern durch die Straßen zu tragen, aber ich dachte, sie wollten mich wieder verprügeln, und rannte weg, so schnell ich nur konnte – also extrem schnell. Deshalb habe ich den Moment des Triumphs nie erlebt. Ein paar Monate später wurde im Dorf der alljährliche Langstreckenlauf veranstaltet, den alle nur ›der Lange‹ nannten, und ich gewann in einer Zeit, die fünfzehn Prozent schneller war als der bisherige Rekord. Ich lief sogar schneller als der große Dmitri Capaldi, der legendäre Läufer, dessen Statue im Dorfzentrum stand. Und als die Nachricht von meinem Erfolg sich herumsprach, kam die Bezirksverwaltung, und noch vor Jahresende wurde ich zum schnellsten Läufer in einem Umkreis von dreiundfünfzig Meilen gekrönt. Nicht viel später ernannte man mich zum schnellsten Läufer des ganzen Landes. Und mit der Zeit bröckelten meine guten Vorsätze, immer ein braver Junge zu sein und bei Poppa zu bleiben, obwohl ich es ihm doch versprochen hatte.«
    »Ich wollte, ich hätte auch so eine Begabung«, sagte Noah. »Ich bin kein besonders guter Läufer. Aber beim Schach bin ich nicht schlecht.«
    »Hmmm«, sagte der alte Mann und überlegte eine Weile. »Nur ist Schach eigentlich kein richtiger Sport, oder?«
    »Es ist ein Kopfsport«, sagte Noah, setzte sich aufrecht hin und grinste.
    »Stimmt«, sagte der alte Mann. »Aber wie ich das sehe, hast du jetzt keinen mehr, mit dem du Schach spielen kannst. Weil du ja von zu Hause weggelaufen bist, meine ich.«
    »Genau.« Noah schaute wieder auf den Tisch. Er konzentrierte sich ganz auf eine Unebenheit im Holz und kratzte mit dem Daumennagel daran herum.
    »Dann vermute ich, es lag an deiner Familie«, sagte der alte Mann, stand auf und räumte das Mittagessen ab. »Sonst ist kein Grund mehr übrig. Also läufst du bestimmt vor ihnen weg. Und wie findest du den hier?«, fragte er dann und hielt den Orang-Utan hoch, den er in der letzten Stunde geschnitzt hatte.
    »Supergut!«, rief Noah, nahm den Affen in die Hand und studierte ihn ganz genau. »Total lebensecht. Sie haben das Holz so bearbeitet, dass es aussieht wie Affenhaare.«
    »Ja,

Weitere Kostenlose Bücher