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Der Junge mit dem Herz aus Holz

Der Junge mit dem Herz aus Holz

Titel: Der Junge mit dem Herz aus Holz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Kreislauf anzuregen. »Ich nehme an, Sie wollen, dass ich mitmache, stimmt’s?«
    »Aber selbstverständlich!« Mr Quaker nickte. »Die Nachricht von deinen Erfolgen hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Und es beschämt mich richtig, bekennen zu müssen, dass unser Dorf seit den Tagen des großen Dmitri Capaldi keine einzige Medaille mehr gewonnen hat. Wir hoffen, dass du das für uns ändern kannst. Solche Erwartungen lasten natürlich schwer auf den Schultern eines jungen Menschen, aber nach allem, was ich höre, sind deine Schultern stark genug, um diese Last zu tragen. Was denkst du? Du wirst uns nicht enttäuschen, oder?«
    »Wenn Poppa sagt, dass ich gehen kann«, sagte ich und schaute meinen Vater fragend an, »dann würde ich gerne mitmachen.«
    »Ich bin mir nicht sicher«, murmelte Poppa, und der Schmerz über die bevorstehende Trennung stand ihm schon ins Gesicht geschrieben. »Die Spiele finden so weit von hier statt. Und wir müssen an deine Schulbildung denken. Möchtest du nicht lieber hier bei mir bleiben? Ich weiß, es ist kein besonders spannendes Leben, aber –«
    »Wir bringen Ihren Sohn zu Ihnen zurück, bevor Sie richtig gemerkt haben, dass er weg ist«, unterbrach ihn Mr Quaker. Er wollte nicht, dass ich mich von Poppa entmutigen ließ. »Aber sag mir doch bitte«, fuhr er fort, nun wieder an mich gewandt, »du hast erst vor kurzem angefangen zu laufen, habe ich gehört.«
    »Ja, das stimmt«, sagte ich und nickte. »Vorher konnte ich nicht so schnell laufen. Meine Beine waren nicht dazu fähig. Aber seit meinem achten Geburtstag … also, seither hat sich vieles für mich verändert.«
    »Darf ich fragen, in welcher Hinsicht?«
    »Mein Sohn spricht nicht gern über die Vergangenheit«, mischte sich Poppa ein. Er kam hinter der Theke hervor und legte schützend den Arm um mich. »Es genügt, wenn ich Ihnen sage, dass er, bevor wir ins Dorf gezogen sind, ganz anders war als jetzt. Aber als er beschlossen hat, ein Junge zu werden – ein
braver
Junge, meine ich, der Junge, der er schon immer sein wollte –, nun, seither ist klargeworden, dass er bestimmte … Begabungen besitzt. Zum Beispiel die Begabung, sehr schnell zu laufen.«
    »Ach, machen Sie sich deswegen keine Gedanken, Sir«, sagte Mr Quaker strahlend. »Bei meinem Job begegnet man allen möglichen Menschen, und ich urteile nie. Ich fälle über keine Person ein Urteil, Sir«, wiederholte er, als wollte er diesen Punkt besonders unterstreichen. »Wissen Sie – ich habe einmal mit einem Jungen gearbeitet, der hatte die ersten fünf Jahre seines Lebens hinter Glas verbracht. Er war Turner, ungewöhnlich begabt auf dem Pauschenpferd und den Parallelbarren, aber leider machte er bei der Qualifikation den letzten Platz, was natürlich eine herbe Enttäuschung war. Danach war er am Boden zerstört. Und bei den vorletzten Spielen war ein Junge, der beim Wagenrennen eigentlich als Anwärter für die Goldmedaille galt, aber er hat seinen Sinn für Humor im Zug vergessen, als er zur Endausscheidung fuhr, und konnte sich deswegen überhaupt nicht auf den Wettkampf konzentrieren. Er hat sich nie davon erholt, versteht sich. Er ist immer noch unterwegs, irgendwo da draußen, und sucht seinen Humor, aber er findet ihn garantiert nicht mehr. Aber gehe ich richtig in der Annahme, dass du schon von Edward Bunson gehört hast, der aus dem Nachbardorf stammt?«
    »Nein, Sir«, sagte ich mit weit aufgerissenen Augen.
    »Er war die große Hoffnung im Fechten«, berichtete Mr Quaker mit einem Seufzer. »Aber am Tag des Wettkampfs bekam er einen fürchterlichen Schüttelfrost, weil er so überwältigt war von den vielen Menschen, die alle gekommen waren, um ihn zu sehen, und er konnte vor lauter Zittern nichts machen. Es war sehr, sehr schade.«
    »Es gibt Schlimmeres im Leben, als bei einem Wettkampf keine Medaille zu gewinnen«, sagte Poppa. »Die Jugend selbst ist ein hohes Gut. Ich bin ja jetzt ein alter Mann, und meine Beine tun nicht mehr, wie sie sollen. Ich habe Arthritis im Rücken. Außerdem bin ich blind auf einem Ohr und taub auf einem Auge.«
    »Du sagst es falsch herum, Poppa«, rief ich.
    »Nein, gar nicht«, beharrte Poppa. »Gar nicht falsch herum, mein Junge! Und das macht die Sache nur noch schlimmer.«
    »Das ist alles hochinteressant«, sagte Mr Quaker mit einem Blick auf die Uhr. »Aber ich fürchte, ich muss gleich los, damit ich meinen Zug nicht verpasse. Deshalb kann ich leider nicht den ganzen Tag faul hier

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