Der Junge mit dem Herz aus Holz
gegenübersaß und ständig in sein Handy laberte. Auch nicht mit der Frau auf der anderen Seite des Gangs, die mit ihrem Kaugummi eklige Schmatzgeräusche machte. Sie sagte, manchmal ist es leichter, wenn man sich an die Parole hält,
leben und leben lassen
. Statt zu meckern, unterhielt sie sich die ganze Zeit mit Noah und spielte Zugspiele mit ihm, als wäre sie auch erst acht Jahre alt.
Als sie auf den Rummelplatz kamen, ging sie allerdings nur auf eine Fahrt mit, sonst machte Noah alles ohne sie. »Aber die Achterbahn macht keinen Spaß, wenn man allein ist«, protestierte er. »Bitte, Mama. Wir müssen das zusammen machen.«
»Ich kann nicht«, sagte seine Mutter. Sie wirkte gar nicht mehr so unternehmungslustig wie vorher, als sie von der Schule abgehauen waren. Ihre Stimme klang müde, und sie sah aus, als hätte sie etwas gegessen, was ihr nicht gut bekommen war. »Ich fühle mich nicht ganz wohl, Noah. Aber hör zu – wir sind hier, um den Rummel zu genießen, und ich möchte dir das Vergnügen nicht verderben. Geh schon – du kannst dich für uns beide amüsieren.«
»Wir können uns doch ein paar Minuten hinsetzen, wenn du willst«, sagte Noah und zeigte auf eine leere Bank hinter ihnen. »Und dann gehen wir auf die große Achterbahn. Vielleicht geht es dir ja besser, wenn du eine Pause machst.«
»Ich glaube, du solltest lieber allein auf die Achterbahn«, sagte sie. »Ich schaue dir von hier unten zu. Versprochen. Ich kann dir ja winken. Und nachher komme ich bei einer anderen Fahrt noch mal mit, wenn ich es schaffe.«
Noah war nicht besonders zufrieden mit diesem Vorschlag, aber andererseits wollte er sich die Fahrt auf dem Space Mountain auch nicht entgehen lassen. Als man das nächste Mal einsteigen konnte, kletterte er auf den vorderen Sitzplatz. Er hoffte, dass er nicht allein blieb, weil er auf der Bank herumrutschen würde, wenn sich die Bahn auf die Seite legte, aber dann setzte sich ein kleines Mädchen zu ihm, das so alt war wie er und schnell seine Zuckerwatte aufaß, als der Aufseher den Bügel vor ihnen herunterklappte.
»Hallo«, sagte Noah, weil er nett sein wollte. »Ich bin Noah Barleywater.«
»Tut mir leid«, sagte das kleine Mädchen mit einem verkrampften Lächeln. »Aber ich darf nicht mit fremden Menschen reden.«
Und damit war das Gespräch beendet. Bis der erste Looping kam. Da packte das Mädchen Noahs Hand und schrie ihm dermaßen laut ins Ohr, dass er Angst bekam, ihm könnte das Trommelfell platzen.
Die Achterbahn sauste so schnell, dass er gar nicht sehen konnte, ob seine Mutter ihm tatsächlich von unten zuschaute, und als er nach drei Runden wieder ausstieg, schwankte er ein bisschen von links nach rechts, wie sein Onkel Teddy immer am Weihnachtsabend, wenn er sich verabschiedete, um nach Hause zu gehen. Als Noah endlich das Gleichgewicht wiedergefunden hatte, war seine Mutter nirgends zu sehen. Er schaute nach links, nach rechts, nach vorn, nach hinten, die Straße hinauf und hinunter, runzelte besorgt die Stirn, biss sich auf die Unterlippe und fragte sich, wo sie nur stecken könnte. Es sah seiner Mutter gar nicht ähnlich, nicht da zu sein, wenn sie gesagt hatte, sie würde da sein, und er wollte sie auch nicht suchen gehen, denn vielleicht kam sie ja in der Zwischenzeit zurück, und dann machte sie sich Sorgen und hatte Angst, ihm könnte etwas zugestoßen sein. Vielleicht fanden sie einander dann nie wieder.
Abb. 8 Eine leere BANK
Noah setzte sich auf die Bank, auf der er mit ihr gesessen hatte, und fühlte sich verloren und verlassen. Da sah er eine Frau in einer weißen Uniform, die eilig auf ihn zukam. Ihr Gesicht war ganz verzerrt vor Sorge, und überhaupt gefiel es Noah gar nicht, wie sie aussah. Deshalb drehte er den Kopf weg, in der Hoffnung, dass sie schnell an ihm vorbeilaufen würde, aber sie blieb direkt vor ihm stehen und beugte sich zu ihm herunter, genau wie er es befürchtet hatte.
»Bist du Noah Barleywater?«, fragte sie.
»Nein«, antwortete er.
»Wirklich nicht?«, sagte sie ungläubig. »Du siehst aber genau aus wie der Junge, den ich finden soll. Man hat mir eine Beschreibung von ihm gegeben.«
Noah sagte nichts, sondern starrte nur stumm auf den Boden und versuchte, am besten gar nichts zu denken. Er hoffte, der Boden würde ihn verschlucken.
»Bist du wirklich nicht Noah?«, fragte die Frau noch einmal, aber mit etwas sanfterer Stimme.
»Doch«, sagte er und nickte zaghaft.
»Ah, gut.« Sie lächelte erleichtert. »Ich
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