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Der Junge

Der Junge

Titel: Der Junge
Autoren: J. M. Coetzee
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bleibt nichts weiter übrig, als seine Tränen zu verstecken, sein Gesicht zu verbergen und zurückzutrotten, begleitet vom mitleidigen, einstudiert-höflichen Applaus der anderen Jungen.

Sieben
    Auf seinem Fahrrad ist das Emblem der britischen Fabrik für Handfeuerwaffen, zwei gekreuzte Gewehre, und der Schriftzug »Smiths – BSA«. Mit Geld, das er zum achten Geburtstag geschenkt bekam, hat er das Fahrrad für fünf Pfund gebraucht gekauft. Es ist das zuverlässigste Ding in seinem Leben. Wenn die anderen Jungen mit ihren Raleighs angeben, kontert er mit seinem Smiths. »Smiths? Nie was von Smiths gehört«, sagen sie.
      Nichts kommt an das erhebende Gefühl heran, Fahrrad zu fahren, sich über den Lenker zu beugen und um die Ecken zu flitzen. Auf seinem Smiths fährt er jeden Morgen zur Schule, die halbe Meile von Reunion Park zum Eisenbahnübergang, dann die Meile auf der stillen Landstraße an der Bahnlinie entlang. Die Sommermorgen sind am schönsten. Wasser murmelt in den Rinnen neben der Straße, Tauben gurren in den Eukalyptusbäumen; ab und zu ist ein warmer Luftstrudel zu spüren, Vorbote des Windes, der später am Tag wehen wird, feinen roten Staub vor sich hertreibend.
      Im Winter muß er sich noch im Dunkeln auf den Schulweg machen. Seine Lampe sendet einen Lichtkegel aus, wenn er durch den Nebel fährt und gegen die samtige Weichheit ankämpft, sie einatmet, sie ausatmet und nichts hört außer dem leisen Zischen seiner Reifen. An manchen Morgen ist das Metall des Lenkers so kalt, daß seine bloßen Hände daran festkleben.
      Er versucht, zeitig zur Schule zu kommen. Er hat gern das Klassenzimmer für sich allein, wandert gern um die leeren Stühle herum, besteigt heimlich das Podium des Lehrers. Aber er ist nie der erste in der Schule: es gibt zwei Brüder aus De Doorns, deren Vater bei der Bahn arbeitet und die mit dem Sechsuhrzug kommen. Sie sind arm, so arm, daß sie weder Pullover noch Blazer noch Schuhe besitzen. Es gibt andere Jungen, die genauso arm sind, besonders in den Afrikaanerklassen. Selbst an eisigen Wintermorgen kommen sie zur Schule in dünnen Baumwollhemden und kurzen Sergehosen, die so eng geworden sind, daß sich ihre schlanken Schenkel kaum darin bewegen können. Ihre sonnengebräunten Beine zeigen kreideweiße Kälteflecken; sie hauchen sich in die Hände und stampfen mit den Füßen; aus ihren Nasen läuft immer der Rotz.
      Einmal gibt es eine Kopfgrindepidemie, und den Brüdern aus De Doorns wird der Kopf geschoren. Auf ihren kahlen Schädeln kann er deutlich die runden grindigen Stellen sehen; seine Mutter schärft ihm ein, den Brüdern nicht nahe zu kommen.
      Er mag lieber enge Shorts als weite Shorts. Die Sachen, die ihm seine Mutter kauft, sind immer zu weit. Er schaut sich gern schlanke, glatte braune Beine in engen Shorts an. Am liebsten mag er die honigbraunen Beine von blonden Jungen.
      Es überrascht ihn, als er feststellt, daß die hübschesten Jungen in den Afrikaanerklassen zu finden sind, wie dort auch die häßlichsten sind, die mit behaarten Beinen und Adamsapfel und Pickeln im Gesicht. Afrikaanerkinder sind wie farbige Kinder, findet er, unverdorben und leichtfertig, ungezügelt, und dann, in einem gewissen Alter, verderben sie, und ihre Schönheit stirbt in ihnen.
      Schönheit und Begierde: Gefühle, die die Beine dieser Jungen, glatt und vollkommen und eigentlich nicht aufregend, in ihm erzeugen, beunruhigen ihn. Was kann man mit Beinen machen, außer sie mit den Augen zu verschlingen? Was begehrt man?
      Die nackten Skulpturen in der Enzyklopädie für Kinder berühren ihn in derselben Weise: Daphne, verfolgt von Apollo; Persephone, geraubt von Hades. Es geht um die Gestalt, um die vollkommene Gestalt. Er hat eine Vorstellung vom vollkommenen menschlichen Körper. Wenn er diese Vollkommenheit in weißem Marmor verkörpert sieht, erschauert er; ein Abgrund tut sich auf; er ist nahe daran zu fallen. Von allen Geheimnissen, die ihn von den anderen trennen, ist das vielleicht das schlimmste. Unter all den Jungen ist er der einzige, in dem dieser dunkle erotische Strom fließt; mitten in der Unschuld und Normalität ist er der einzige, der Begierde fühlt.
      Aber die Sprache der Afrikaanerjungen ist unglaublich schmutzig. Sie verfügen über eine Palette obszöner Wörter, mit der er bei weitem nicht konkurrieren kann und die mit fok und piel und poes zu tun haben, Wörtern, vor deren einsilbiger Schwere er sich schaudernd abwendet. Wie schreibt
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