Der Junker von Ballantrae
der er wie irrsinnig ausschaute. Oft pflegte er Sir William zu erzählen, und immer in einem Ton, als handle es sich um eine Neuigkeit, daß er »einen Bruder irgendwo in den Wäldern« habe, er möge doch die Wachen anweisen, »nach ihm Ausschau zu halten«. – »Ich erwarte dringend Nachrichten über meinen Bruder«, pflegte er zu sagen. Manchmal, wenn wir unterwegs waren, bildete er sich ein, weit draußen auf dem Meere ein Kanu zu erblicken oder ein Lager am Ufer, und dann zeigte er eine peinliche Aufregung. Es war unmöglich, daß diese Sonderbarkeiten Sir William nicht auffallen mußten, und schließlich nahm er mich beiseite und deutete an, alles das sei ihm unangenehm. Ich legte die Finger an die Stirn und schüttelte den Kopf, sehr froh, gewissermaßen auf alle Fälle einen Zeugen zu haben.
»Aber wenn es so steht«, rief Sir William aus, »ist es denn da klug, ihn frei umhergehen zu lassen?«
»Leute, die ihn gut kennen«, antwortete ich, »sind davon überzeugt, daß man ihn bei gutem Humor halten muß.«
»Nun, nun«, erwiderte Sir William, »das ist nicht meine Angelegenheit, aber wenn ich es vorher gewußt hätte, wären Sie nicht hier.«
Wir waren ungefähr eine Woche ohne Zwischenfälle in diese Wildnis vorgedrungen, als wir eines nachts an einem Platz unser Lager aufschlugen, wo der Fluß zwischen hohen, waldbestandenen Bergen dahinrann. Die Feuer waren in der Nähe des Ufers auf einem ebenenPlatz angezündet worden, und wir aßen zu Abend und legten uns dann in der gewöhnlichen Art schlafen. Der Zufall wollte, daß die Nacht mörderisch kalt war, der Frost packte und quälte mich durch die Decken hindurch, so daß mich die Schmerzen wach hielten. Ich war vor Tagesanbruch wieder auf den Beinen und hockte am Feuer oder rannte am Flußufer auf und ab, um die Gliederschmerzen zu vertreiben. Schließlich brach der Tag herein über den bereiften Wäldern und Bergen, die Schläfer wälzten sich hin und her in ihren Decken, und das Wasser des Stromes rauschte lärmend dahin zwischen Eisschollen. Ich stand da und blickte umher, eingepackt in einen steifen Mantel von Ochsenfell, und der Atem stieg wie Rauch aus meinen brennenden Nasenlöchern auf, als ich plötzlich einen eigenartigen, hellen Schrei von den Rändern des Waldes ertönen hörte. Die Wachen antworteten, die Schläfer sprangen hoch, einer wies in die Richtung, die anderen folgten mit den Augen, und dort, am Rande des Waldes, sahen wir zwischen zwei Bäumen die Gestalt eines Mannes, der seine Hände wie in Ekstase hochreckte. Im nächsten Augenblick rannte er vorwärts, fiel zur Seite des Lagers auf die Knie und brach in Tränen aus.
Es war John Mountain, der Händler, der den entsetzlichsten Gefahren entronnen war, und sein erstes Wort, als er die Sprache wiedergewann, war die Frage, ob wir Secundra Daß gesehen hätten.
»Wen gesehen?« rief Sir William aus.
»Nein«, sagte ich, »wir haben ihn nicht gesehen. Warum?«
»Nicht?« fragte Mountain. »Dann habe ich doch recht gehabt!« Dabei schlug er sich mit der Hand vor die Stirn. »Aber was hält ihn zurück?« rief er, »was hält den Mann zurück bei den Leichen? Dahinter steckt ein verfluchtes Geheimnis.«
Seine Worte erregten unsere Neugier aufs höchste, aber ich werde mich verständlicher machen können, wenn ich die Ereignisse in ihrer wirklichen Reihenfolge berichte. Es folgt hier eine Erzählung, die ich aus drei Quellen zusammengefügt habe, die allerdings nicht in allen Punkten übereinstimmen:
Erstens: ein schriftlicher Bericht von Mountain, in dem alles Verbrecherische vertuscht ist;
zweitens: zwei Unterredungen mit Secundra Daß; und
drittens: zahlreiche Unterredungen mit Mountain selbst, in denen er sich erfreulicherweise ganz offen aussprach, denn in Wahrheit hielt er mich für einen Mitverschworenen.
Die Erzählung des Händlers Mountain
Der Trupp, der unter dem Befehl von Kapitän Harris und dem Junker den Fluß hinaufzog, zählte im ganzen neun Personen, unter denen, abgesehen von Secundra Daß, keiner war, der nicht den Galgen verdient hätte. Von Harris abwärts bis zum letzten waren die Reisenden in der Kolonie berüchtigt als verzweifelte, blutdürstige Halunken. Einige waren übel beleumdeteSeeräuber, die meisten Rumhausierer, alle Radaubrüder und Trinker. Sie paßten also gut zusammen und machten sich ohne Gewissensbisse auf den Weg, um jenen gemeinen und mörderischen Plan durchzuführen. Ich kann nicht behaupten, daß viel Disziplin unter den
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