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Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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singen sage, man darunter ein hohes, eintöniges Gewimmer verstehen muß, das in Wirklichkeit weder Rede noch Gesang war. EtwasÄhnliches kann man von den Lippen der Kinder hören, bevor sie gelernt haben sich zu schämen, und es hörte sich deshalb aus dem Munde eines ältlichen Herrn recht sonderbar an. Er öffnete die Tür mit polternder Vorsicht, blickte hinein, hielt die Hand vor die Kerze, glaubte mich im Schlaf, trat ein, setzte das Licht auf den Tisch und nahm den Hut ab. Ich sah ihn sehr deutlich, ein lebhaftes Fieber der Erregung schien in seinen Adern zu brennen, er stand da, lächelte und schmunzelte die Kerze an. Dann hob er den Arm, schnappte mit den Fingern und begann sich auszuziehen. Während er das tat, vergaß er meine Gegenwart wieder und begann von neuem zu singen, und jetzt verstand ich die Worte. Es waren die eines alten Liedes von den »Zwei Corbies«, die er endlos wiederholte:
    »Sein Gerippe, bleich verstreut,
Werde Stürmen ew'ge Beut'!«
    Ich habe gesagt, daß er keine musikalische Begabung hatte. Die Töne, die er hervorbrachte, besaßen keine faßlichen Zusammenhänge und neigten etwas gegen Moll. Sie erregten in grober Weise das Gefühl, lehnten sich an die Worte an und verrieten die Empfindungen des Jüngers mit barbarischer Deutlichkeit. Zuerst sang er im Zeitmaß und in der Art eines Trinkliedes, dann ließ diese üble Lustigkeit nach, er verweilte mit mehr Gefühl bei den einzelnen Noten und versank schließlich in ein weinerliches Pathos, das ich kaum ertragen konnte. Allmählich nahm die anfängliche Raschheit seiner Bewegungen ab, und als er bis auf die Hosenausgezogen war, ließ er sich nieder auf das Bett und begann zu wimmern. Ich kenne nichts Würdeloseres als die Tränen der Trunkenheit, und so wandte ich dem armseligen Anblick ungeduldig den Rücken.
    Aber er war, wie ich annehme, den schlüpfrigen Abhang der Selbstbemitleidung hinabgetorkelt, wo es für einen Menschen, der alten Sorgen nachhinkt und soeben viel getrunken hat, kein Aufhalten mehr gibt. Seine Tränen flossen ohne Hemmung, und da saß nun dieser Mann dreiviertel nackt in der kalten Luft des Zimmers. Ich schwankte fortgesetzt zwischen Grausamkeit und sentimentaler Weichheit, bald richtete ich mich im Bett auf, um einzugreifen, bald redete ich mir ein, ich müsse gleichgültig sein und so tun, als schlafe ich, bis mich plötzlich das alte Wort quantum mutatus ab illo aufrüttelte. Ich erinnerte mich der früheren Klugheit, Standhaftigkeit und Geduld des Lords, ich wurde von Mitleid fast leidenschaftlich übermannt, nicht für meinen Herrn, sondern für alle Menschenkinder.
    Dann sprang ich aus dem Bett, eilte zu ihm und legte ihm die Hand auf die nackte Schulter, die kalt wie Stein war. Er nahm das Gesicht aus den Händen, es war geschwollen und von Tränen naß wie das eines Kindes,und bei diesem Anblick erwachte mein Widerwille teilweise von neuem.
    »Sie sollten sich schämen!« rief ich, »das ist ein kindisches Benehmen. Ich könnte auch heulen, wenn ich meinen Bauch mit Wein gefüllt hätte, aber ich ging nüchtern zu Bett wie ein Mann. Kommen Sie, legen Sie sich schlafen und sparen Sie sich diese jammervolle Vorstellung.«
    »Ach, Mackellar«, sagte er, »mein Herz tut weh!«
    »Weh?« rief ich. »Das hat seinen guten Grund, denke ich. Was waren das für Worte, die Sie sangen, als Sie hereinkamen? Zeigen Sie Mitleid gegen andere, dann läßt sich auch über Mitleid Ihnen gegenüber reden. Sie können so und so sein, aber ich will mit Halbheiten nichts zu tun haben. Wollen Sie schlagen, dann schlagen Sie, aber wollen Sie blöken, dann blöken Sie!«
    »Nur weiter!« schrie er plötzlich, »das ist es: schlagen! Sie haben recht! Mensch, ich habe das alles viel zu lange ertragen. Aber als sie Hand anlegten an das Kind, als das Kind bedroht wurde« – seine momentane Kraft schwand, und er begann zu wimmern –, »mein Kind, mein Alexander!« Und nun fing er wieder an zu weinen.
    Ich ergriff ihn bei der Schulter und schüttelte ihn. »Alexander!« rief ich. »Denken Sie denn überhaupt an ihn? Sie nicht! Blicken Sie sich ins Gesicht wie ein tapferer Mann, dann werden Sie feststellen, daß Sie sich nur selbst betrügen. Weib, Freund und Kind, alle sind gleicherweise vergessen, Sie sind nur noch ein Bündel Selbstsucht!«
    »Mackellar«, sagte er und besaß auf wunderbare Weise plötzlich wieder sein altes Benehmen und Aussehen, »Sie mögen von mir sagen, was Sie wollen, aber eines war ich nie – ich war

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