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Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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nie selbstsüchtig.«
    »Ich werde Ihnen die Augen öffnen, damit Sie sich richtig sehen«, sagte ich. »Wie lange sind wir nun hier? Und wie oft haben Sie an Ihre Familie geschrieben? Ich glaube, Sie sind zum erstenmal von ihr getrennt: haben Sie überhaupt schon geschrieben? Wissen Sie, ob sie tot oder lebendig sind?«
    Ich hatte ihn sichtlich getroffen, seine bessere Natur erwachte, er weinte nicht mehr, er dankte mir reumütig, ging zu Bett und schlief bald fest ein. Am nächsten Morgen setzte er sich sofort nieder und begann einen Brief an die Lady, einen sehr zärtlichen Brief sogar, der allerdings nie beendet wurde. Tatsächlich wurde die Beziehung zu New York nur durch mich aufrechterhalten, und man wird begreifen, daß ich keine dankenswerte Aufgabe hatte. Was ich der Lady erzählen sollte, mit welchen Worten, und wie weit ich aufrichtig und rückhaltlos schreiben durfte, das waren Überlegungen, die mir oft den Schlaf raubten.
    Während dieser ganzen Zeit wartete der Lord offenbar mit wachsender Ungeduld auf Nachricht von seinem Mitverschworenen. Man darf vermuten, daß Harris höchste Eile zugesagt hatte, die Zeit war bereits verstrichen, da man eine Nachricht erwarten durfte, und die Ungewißheit war ein schlechter Trost für einen Mann, dessen Verstand mitgenommen war. Die Phantasie des Lords schweifte in der Zwischenzeit fast immerin der Wildnis umher und folgte jener Gruppe von Menschen, deren Taten ihn so sehr beschäftigten. Er malte sich ständig ihre Lagerstätten und ihren Weitermarsch aus, die Art der Landschaft, die Vollbringung der furchtbaren Tat in tausend verschiedenen Möglichkeiten und jenes Schauspiel, da die Gebeine des Junkers verstreut im Winde lagen. Diese geheimen und verbrecherischen Überlegungen konnte ich stets erraten aus den Gesprächen des Mannes, die wie etwa Kaninchen aus ihrem Bau herauslugten. Und es konnte nicht wundernehmen, daß der Ort, bei dem er in seiner Phantasie weilte, ihn körperlich anzog.
    *
    Es ist allgemein bekannt, welchen Vorwand er benutzte. Sir William Johnson hatte in jenen Gegenden eine diplomatische Aufgabe zu erledigen, und der Lord und ich leisteten ihm dabei aus Neugier, wie behauptet wurde, Gesellschaft. Sir William war gut ausgerüstet und mit allem versehen. Jäger brachten uns Wildbret, in den Strömen wurden täglich für uns Fische gefangen, und der Brandy floß wie Wasser. Bei Tage zogen wir weiter, und nachts kampierten wir nach militärischer Art, Wachen wurden aufgezogen und abgelöst, jeder hatte bestimmte Pflichten zu erfüllen, und Sir William war die treibende Kraft in allem. Manche dieser Dinge hätten mich sonst gefesselt, aber zu unserem Unglück war das Wetter außerordentlich rauh, die Tage waren anfangs heiter, aber die Nächte von Anfang an frostig. Ein qualvoll scharfer Wind blies fast die ganze Zeit,so daß wir mit blauen Fingern in unserem Schiff saßen und unsere Kleider nachts, wenn wir die Gesichter am Feuer rösteten, im Rücken wie aus Papier zu sein schienen. Entsetzliche Einsamkeit umgab uns, das Land war völlig entvölkert, kein Rauch von Feuern stieg auf, und außer einem einzigen Händlerboot am zweiten Tage begegneten wir keinem Reisenden. Es war allerdings spät im Jahre, aber diese Verlassenheit der Wasserstraßen machte sogar auf Sir William Eindruck, und ich hörte ihn mehr als einmal seine Besorgnis zum Ausdruck bringen. »Ich fürchte, daß ich zu spät komme, sie müssen das Kriegsbeil schon ausgegraben haben«, sagte er, und die Zukunft bewies, wie recht er gehabt hatte.
    Niemals könnte ich die Finsternis meiner Seele während dieser Reise beschreiben. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die das Ungewöhnliche lieben. Den Winter herannahen zu sehen und auf offenem Felde so weit entfernt von irgendeinem Hause zu sein, bedrückte mich wie ein Alp. Alles schien mir wie verhängnisvoller Trotz gegen den Willen Gottes, und dies Gefühl, das mich, wie ich weiß, zum Feigling stempelt, wurde bedeutend verstärkt durch die Kenntnis, die ich persönlich vom Zweck unserer Reise hatte. Außerdem war ich durch meine Pflichten gegenüber Sir William belastet, den ich unterhalten sollte, denn der Lord war völlig in einen Zustand versunken, der an » pervigilium « grenzte, er beobachtete die Wälder mit aufgerissenen Augen, schlief überhaupt kaum noch und sprach manchmal keine zwanzig Worte im Laufe eines Tages. Was er sagte,hatte einen gewissen Zusammenhang, aber es bezog sich fast immer auf die Menschengruppe, nach

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