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Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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Er traf sie sozusagen nur bei den Mahlzeiten und benahm sich dabei wie ein liebevoller Bruder. Bis heute hatte er, so kann man behaupten, kaum irgendwie das Verhältnis von Mr. Henry zu seiner Frau angetastet, außer daß er die beiden hinderte, sich einander liebenswürdig zu begegnen. Jetzt sollte das alles anders werden, aber ob er aus Rache handelte, oder weil er sich auf Durrisdeer langweilte und nach Abwechslung Umschau hielt, vermag nur der Teufel zu entscheiden.
    Jedenfalls begann von dieser Stunde an eine Belagerung von Mrs. Henry, eine Sache, die so gewandt ausgeführt wurde, daß ich kaum weiß, ob sie selbst es bemerkte, und daß ihr Gemahl nur schweigend zuschauen konnte. Der erste Angriff wurde durch einen Zufall eröffnet, wie es den Anschein erweckte. Das Gespräch kam, wie es öfter der Fall war, auf die Verbannten in Frankreich und glitt hinüber zu ihren Liedern.
    »Da gibt es ein Lied«, sagte der Junker, »wenn ihr euch dafür interessiert, das mir stets sehr ergreifend schien. Es ist rauhe Poesie, und trotzdem hat sie, vielleicht wegen meiner Lage, immer den Weg zu meinem Herzen gefunden. Es soll, wie ich hinzufügen will, von der Geliebten eines Verbannten gesungen werden und gibt vielleicht nicht so sehr das wieder, was sie in Wirklichkeit denkt, sondern die Gefühle, die er, der arme Teufel, in jenen fremden Landen von ihr erhofft.«
    Hier seufzte der Junker. »Ich muß sagen, es ist ein bewegender Anblick, wenn ein Haufe rauher Irländer, alle gemeine Landsknechte, dies Lied anstimmen, und man kann aus den Tränen, die sie vergießen, vermuten, wie es sie rührt. Es geht so, Vater«, sagte er und wandte sich ganz absichtlich an den alten Lord als Zuhörer, »und wenn ich nicht ganz damit zu Ende komme, so mußt du bedenken, daß das bei uns Verbannten allgemein so ist.«
    Und nun begann er dieselbe Melodie anzustimmen, die ich den Oberst pfeifen hörte, aber er sang nun die in der Tat rauhen, aber höchst pathetischen Worte dazu, die die Sehnsucht eines armen Mädchens nach ihrem verbannten Geliebten zum Ausdruck bringen. Ein Vers, oder wenigstens der ungefähre Wortlaut, haftet noch in meinem Gedächtnis:
    Ach, will färben mein Röcklein rot,
Mit meinem Liebsten betteln mein Brot,
Und wenn mir alle wünschen den Tod:
Dir gehör' ich, mein Willi am fernen Strand. Oh!
    Er sang gut, wenn es auch nur ein Volkslied war, aber noch besser schauspielerte er. Ich habe berühmte Schauspieler gesehen, und kein Auge war trocken im Theater von Edinburgh. Gewiß ein großes Wunder, aber nicht wundervoller, als wenn der Junker diese kleine Ballade vortrug und auf denen, die ihm zuhörten, wie auf einem Instrument spielte. Bald schien er vor Rührung abbrechen zu müssen, bald besiegte er seinen Kummer,so daß Worte und Musik aus seinem eigenen Herzen und seinem eigenen Schicksal zu strömen und sich direkt an Mrs. Henry zu wenden schienen. Doch seine Kunst ging noch weiter, denn alles wurde so zart gehandhabt,daß es unmöglich schien, ihm irgendeine Absicht vorzuwerfen. Er machte so wenig Wesens aus seiner Bewegung, daß jeder geschworen hätte, er bemühe sich, ruhig zu erscheinen. Als er geendet hatte, saßen wir alle eine Zeitlang schweigend da; er hatte die Dämmerung des Nachmittags gewählt, so daß keiner das Gesicht seines Nachbarn sehen konnte, aber es schien, als ob wir alle den Atem anhielten; nur der alte Lord räusperte sich. Der Sänger selbst rührte sich zuerst wieder, er stand plötzlich und leise auf und ging langsam im unteren Teil der Halle auf und ab, wo sonst Mr. Henry seinen Platz hatte.
    Wir mußten vermuten, daß er dort den Rest seiner Bewegtheit niederkämpfte, denn bald darauf kam er zurück und begann eine Unterredung über die Natur des irischen Volkes, das stets so sehr verkannt werde, und das er verteidigte, und zwar mit seiner natürlichen Stimme, so daß wir, bevor die Lampen hereingebracht wurden, mitten in einem gewöhnlichen Gespräch waren. Aber selbst dann noch schien mir das Gesicht von Mrs. Henry einen Schatten bleicher zu sein, und sie zog sich auffälligerweise fast sofort zurück.
    Das nächste Anzeichen des Angriffs war eine Freundschaft, die dieser listige Teufel mit der unschuldigen kleinen Katharine begann. Man sah sie stets zusammen, Hand in Hand, oder sie kletterte auf sein Knie, und sie waren wie ein Paar Kinder. Diese Annäherung wirkte, wie alle seine teuflischen Taten, in doppelter Weise. Für Mr. Henry war es der ärgste Streich, als er sein eigenes

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