Der Junker von Ballantrae
haßerfüllten Äußerungen erklären, die er ausstieß, wenn sie allein waren. Die Zwecke, die er verfolgte, können seine völlig anders geartete Haltung in Gegenwart des Lords erklären, und dies sowie die Absicht, die Würze der Galanterie nicht zu vergessen, veranlagte ihn, sich mit Mrs. Henry gut zu stellen. Die Freude an der Bosheit aber trieb ihn dazu, sein Benehmen fortgesetzt zu ändern und völlig gegensätzlich erscheinen zu lassen.
Weil ich ein sehr offenherziger Freund meines Herrn war und in meine Briefe nach Paris oft freimütige Vorwürfeeingefügt hatte, mußte auch ich seinem teuflischen Vergnügen dienen. Wenn ich allein mit ihm war, verfolgte er mich mit höhnischen Bemerkungen, aber in Gegenwart der Familie behandelte er mich äußerst liebenswürdig und herablassend. Das war nicht nur an sich qualvoll und setzte mich nicht nur fortgesetzt ins Unrecht, sondern es lag ein Element unbeschreiblicher Beleidigung darin. Daß er sich vor mir nicht verstellte und so offenbarte, daß selbst meine Zeugenschaft ihm zu verächtlich war, um Rücksicht darauf zu nehmen, erbitterte mich bis ins Blut hinein. Aber was ich dabei empfand, ist nicht wert, niedergeschrieben zu werden. Ich will es hier nur erwähnen, und besonders aus dem Grunde, weil es eine gute Wirkung hatte: es verschaffte mir ein besseres Verständnis für das Martyrium Mr. Henrys.
Auf ihn fiel die ganze Last. Wie sollte er sich den öffentlichen Schmeicheleien seines Bruders gegenüber verhalten, der nie versäumte, ihn unter vier Augen zu verspotten? Wie sollte er das Lächeln des Betrügers und Beleidigers erwidern? Er war dazu verurteilt, unliebenswürdig zu erscheinen, er war verurteilt zum Schweigen. Wäre er weniger stolz gewesen und hätte er gesprochen, wer hätte ihm geglaubt? Die Tatsachen sprachen gegen ihn, der alte Lord und Mrs. Henry waren täglich Zeugen der Vorgänge, sie hätten vor Gericht schwören können, daß der Junker das Vorbild langmütiger Gutherzigkeit und Mr. Henry ein abschreckendes Beispiel von Neid und Undank sei; und so häßlich solche Fehler immer sind, sie erschienen zehnmal häßlicher bei Mr. Henry, denn wer konnte vergessen,daß der Junker in ständiger Lebensgefahr schwebte, und daß er bereits seine Geliebte, seinen Titel und sein Vermögen verloren hatte?
»Henry, willst du mit mir ausreiten?« fragte der Junker eines Tages.
Mr. Henry, der den ganzen Vormittag von diesem Menschen beleidigt worden war, antwortete rauh: »Nein!«
»Ich möchte, du wärst etwas liebenswürdiger«, antwortete der andere schwermütig.
Ich führe das als Beispiel an, und solche Auftritte ereigneten sich ständig. Man kann sich nicht wundern, daß Mr. Henry getadelt wurde, und daß mir beinahe vor Wut die Galle überlief. Noch jetzt spüre ich bei der bloßen Erinnerung Bitterkeit auf der Zunge.
Nie hat die Welt solch teuflisches Doppelspiel gesehen, so gemein und doch so einfach und unmöglich zu bekämpfen. Trotzdem denke ich immer wieder, daß Mrs. Henry zwischen den Zeilen hätte lesen sollen. Sie hätte den Charakter ihres Gemahls besser kennen und nach so viel Jahren der Ehe sein Vertrauen besitzen oder erobern müssen. Und was meinen alten Lord betrifft, diesen äußerst aufmerksamen Edelmann – wo blieb seine ganze Beobachtungsgabe? Allerdings wurde der Betrug von Meisterhand ausgeführt und hätte auch einen Engel täuschen können. Und was Mrs. Henry anbelangt, so habe ich immer festgestellt, daß Menschen nie so weit voneinander entfernt leben wie Eheleute, die sich nicht verstehen, wobei es oft den Anschein hat, als ob sie taub seien oder keine gemeinsame Sprache redeten.Und schließlich, wenn man beide Zuschauer in Betracht zieht, so waren sie beide geblendet durch eingewurzelte Vorliebe. Es kommt aber viertens noch hinzu, daß alle Welt glaubte – ich sage glaubte, und man wird bald hören, warum –, der Junker schwebe ständig in Lebensgefahr, weshalb es um so unedler sei, ihn zu kritisieren. Er hielt alle in ständiger zärtlicher Sorge um sein Leben und machte sie völlig blind gegenüber seinen Mängeln.
In jener Zeit begriff ich deutlich den Wert guter Manieren und beklagte lebhaft meine eigene Unbeholfenheit. Mr. Henry besaß das Wesen eines Edelmanns. Wenn ihn etwas bewegte und die Umstände es erforderten, vermochte er seine Rolle würdig und klug zu spielen, aber im täglichen Leben – es hat keinen Sinn, das abzustreiten – fehlte ihm die Grazie. Der Junker andererseits konnte keine
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