Der Junker von Ballantrae
verschwunden war. Die Welt war wieder schwarz, Wind und Regen jagten über die Bucht, und ich versicherte mich, daß der Kutter seinen Ankerplatz verlassen hatte und der Junker jetzt tot oder lebendig auf der Irischen See schaukelte.
An dieser Stelle ist es angebracht, das wenige mitzuteilen, was ich nachträglich über die Ereignisse jener Nacht noch herausgefunden habe. Es nahm eine lange Zeit in Anspruch, alles zu sammeln, denn wir fürchteten uns, öffentlich nachzufragen, und die Schmuggler betrachteten mich mit Feindseligkeit, wenn nicht mit Rachegefühlen.Erst nach sechs Monaten wußten wir genau, daß der Mensch noch lebte, und erst Jahre später erfuhr ich von einem der Leute Crails, der sich mit seinem Verbrecherlohn ein Wirtshaus gekauft hatte, einige Einzelheiten, die mir nach Wahrheit zu riechen schienen. Es scheint, daß die Schmuggler den Junker auffanden, als er sich mühsam auf einen Ellbogen aufgerichtet hatte und wie ein Irrer bald um sich starrte, bald die Kerze oder seine blutüberströmte Hand anschaute. Als sie herankamen, scheint er die Besinnung wieder erlangt zu haben. Er bat sie, ihn an Bord zu tragen und den Mund zu halten. Als der Kapitän fragte, wie er in diese mißliche Lage gekommen sei, brach er in wütende Flüche aus und fiel gleich darauf in Ohnmacht. Sie hielten eine Beratung ab, aber da sie in allernächster Zeit Wind erwarteten und hoch dafür bezahlt wurden, falls sie ihn nach Frankreich durchschmuggelten, wollten sie die Abreise nicht verzögern. Außerdem war er bei diesen verächtlichen Kreaturen ziemlich beliebt. Sie waren der Meinung, er sei zum Tode verurteilt und wußten nicht, welch unglücklichen Umständen er seine Wunde verdankte, und so hielten sie es für eine gute Tat, ihn aus der Gefahrenzone herauszuschaffen. Er wurde an Bord getragen, erholte sich auf der Überfahrt und wurde in Havre de Grace als Rekonvaleszent ans Land gesetzt. Wirklich bemerkenswert ist es, daß er zu keinem ein Wort äußerte über das Duell, und bis heute weiß keiner der Händler, in welchem Streit und durch wessen Hand er fiel. Bei jedem anderen Menschen würde ich das dem natürlichen Schamgefühl zuschreiben, bei ihmjedoch dem Stolz. Er konnte es nicht ertragen zuzugestehen, vielleicht nicht einmal sich selbst, daß er niedergeschlagen worden war von jemand, den er so schwer beleidigt und so grausam verachtet hatte.
Sechstes Kapitel: Bericht über die Ereignisse während der zweiten Abwesenheit des Junkers
Von der heftigen Erkrankung, die sich am nächsten Morgen bemerkbar machte, kann ich mit Gleichmut reden, da es der letzte ungemischte Schmerz war, der meinen Herrn befiel. Vielleicht war sie in Wirklichkeit eine Gnade, denn welche körperlichen Schmerzen konnten den Qualen seiner Seele gleichkommen? Mrs. Henry und ich wachten an seinem Bett. Der alte Lord bat von Zeit zu Zeit um Benachrichtigung, aber überschritt im allgemeinen nicht die Schwelle. Einmal, so erinnere ich mich, als alle Hoffnung beinahe geschwunden war, trat er ans Bett, blickte eine Weile in das Antlitz seines Sohnes und wandte sich ab mit einer einzigartigen Bewegung des Kopfes, die Hand nach oben geworfen, die wie etwas Tragisches in meinem Gedächtnis geblieben ist: so viel Schmerz und so viel Verachtung der Dinge dieser Erde drückte sie aus. Aber die meiste Zeit hatten Mrs. Henry und ich das Zimmer für uns allein, indem wir uns nachts abwechselten und tags einander Gesellschaft leisteten, denn dieWachen waren sehr langweilig. Mr. Henry trug den geschorenen Kopf in einem Handtuch, warf sich ununterbrochen hin und her und schlug mit den Händen auf die Bettdecke. Seine Zunge stand niemals still, seine Stimme floß ununterbrochen wie ein Strom, so daß mein Herz ihres Klanges sehr überdrüssig war. Es war bemerkenswert und für mich unbeschreiblich qualvoll, daß er immer nur von Dingen sprach, die keinerlei Wichtigkeit besaßen: von Ankunft und Abreise, von Pferden, die er stets zu satteln befahl, weil er wohl glaubte – die arme Seele –, er könne seinem Elend entwischen; von Gärtnereiangelegenheiten, von Lachsnetzen und – was anzuhören mich besonders zornig machte – fortgesetzt von seinen Geschäften, indem er Ziffern nannte und sich mit den Pächtern herumstritt. Niemals ein Wort von seinem Vater oder seinem Weib, geschweige denn von dem Junker. Nur ein oder zwei Tage weilte sein Geist ganz in der Vergangenheit, und er glaubte sich wieder Knabe bei unschuldigen Kinderspielen mit seinem Bruder.
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