Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
Vom Netzwerk:
jener Mensch kehrt zurück, müssen wir leiden: diesmal aber alle zusammen.«
    Im ganzen war ich mit der Seelenverfassung Mrs. Henrys wohl zufrieden, und ich konnte nicht leugnen, daß das, was sie über die Papiere vorzutragen hatte, in gewissem Sinne zwingend war.
    »Wir wollen nicht mehr darüber reden«, sagte ich, »ich kann nur bedauern, daß ich einer Dame die Originale anvertraute, ein Verfahren, das zumindest ungeschäftsmäßig war. Was ich gesagt habe über das Aufgeben meiner Stellung in der Familie, war nur mit der Zunge geredet, Sie können sich darüber beruhigen. Ich gehöre zu Durrisdeer, Mrs. Henry, als ob ich dort geboren wäre.«
    Ich muß gerecht genug sein zu bemerken, daß sie völlig beruhigt schien, so daß wir diesen Tag mit gegenseitiger Nachsicht und Hochschätzung begannen, die wir uns viele Jahre hindurch bewahrten.
    An diesem Tage, der zweifellos zur Freude vorbestimmt war, bemerkten wir das erste Anzeichen der Genesung bei Mr. Henry. Ungefähr um drei Uhr nachmittags fand er die Besinnung wieder und nannte meinen Namen mit stärksten Anzeichen der Zuneigung. Mrs. Henry war ebenfalls im Zimmer und stand zu Füßen des Bettes, aber er schien sie nicht zu bemerken. Tatsächlich verschwand das Fieber, und er war so schwach, daß er nur diese eine Anstrengung machte und dann wieder in seine Lethargie zurücksank. Der Verlauf der Wiedergenesung war nun langsam, aber gleichmäßig, jeden Tag nahm der Appetit zu, jede Woche konnten wir ein Anwachsen der Kraft und des Körpergewichts feststellen, vor Ende des Monats hatte er dasBett verlassen, und man konnte ihn bereits im Liegestuhl auf die Terrasse tragen.
    Ungefähr um diese Zeit waren Mrs. Henry und ich geistig am meisten bedrückt. Die Sorge um sein Leben war zu Ende, aber eine schlimmere Befürchtung machte sich nun geltend. Es war uns bewußt, daß wir uns jeden Tag der Aussprache näherten, aber die Tage flossen dahin, und nichts geschah. Mr. Henry nahm an Kräften zu, er führte mit uns lange Gespräche über alle möglichen Themen, sein Vater kam, saß bei ihm und ging wieder fort, und doch wurden die Tragödie oder die früheren Qualen, die sie heraufbeschworen hatten, nicht erwähnt. Erinnerte er sich und verbarg das furchtbare Wissen, oder war alles aus seinem Geiste ausgelöscht? Das war die Frage, die uns am Tage, wenn wir bei ihm waren, im Zustand der Beobachtung und in Furcht hielt, und uns nachts, wenn wir in unseren einsamen Betten lagen, nicht schlafen ließ. Wir wußten nicht einmal, worauf wir hoffen sollten, denn beides erschien unnatürlich und ließ auf einen verwirrten Verstand schließen. Nachdem die Befürchtung einmal aufgetaucht war, beobachtete ich seine Haltung mit emsiger Genauigkeit. Er zeigte etwas von einem Kinde: eine Heiterkeit, die seinem früheren Charakter ganz fremd war, ein Interesse, das leicht erregt wurde und dann an Dingen kleinlicher Natur zäh haftete, die er bisher verachtet hatte. Wenn er früher niedergeschlagen war, zog er nur mich ins Vertrauen, und ich kann sagen, ich war sein einziger Freund, während er mit seiner Frau in Zwiespalt lebte. Nach seiner Genesung wandelte sichalles, die Vergangenheit war vergessen, seine Frau war die Erste und sogar Einzige in seinen Gedanken. Er wandte sich an sie mit allen seinen Gefühlsäußerungen wie ein Kind an die Mutter und schien ihrer Teilnahme gewiß zu sein, er rief sie in allen seinen Nöten mit jener etwas unmutigen Vertraulichkeit, die der Gunst sicher ist, und ich muß sagen, um seiner Frau Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: sie enttäuschte ihn nie. Für sie war sein verändertes Benehmen in der Tat unaussprechlich aufregend, und ich glaube, sie empfand es heimlich wie einen Vorwurf, so daß ich sie in den ersten Tagen manchmal aus dem Zimmer fliehen sah, um sich auszuweinen. Aber mir erschien der Wechsel nicht natürlich, und während ich ihn betrachtete, begann ich mit viel Kopfschütteln zu überlegen, ob seine Vernunft vollkommen erhalten sei.
    Da dieser Zweifel viele Jahre anhielt, ja bis zum Tode meines Herrn ertragen werden mußte und alle unsere Beziehungen nunmehr überschattete, darf ich wohl ein wenig länger dabei verweilen. Als er imstande war, seine Geschäfte einigermaßen wieder aufzunehmen, fand ich manche Gelegenheit, ihn genau zu prüfen. Das Verständnis und der Wille zu gebieten waren vorhanden, aber das alte zähe Interesse ganz geschwunden. Er wurde rasch müde, begann zu gähnen und behandelte Geldangelegenheiten

Weitere Kostenlose Bücher