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Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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»Mackellar, falls Sie irgend etwas hören, lassen Sie es mich auf alle Fälle wissen. Wir müssen ihn im Auge behalten, sonst überfällt er uns, wenn wir es am wenigsten vermuten.«
    »Er wird sich hier nicht wieder blicken lassen«, entgegnete ich.
    »O ja, bestimmt«, sagte Mr. Henry, »wo immer ich bin, dort wird auch er sein.« Und wieder blickte er um sich.
    »Sie müssen bei solchen Gedanken nicht verweilen, Mr. Henry«, sagte ich.
    »Nein«, sagte er, »das ist ein sehr guter Rat. Wir wollen nie daran denken, außer wenn Sie Nachrichten erhalten. Und wir wissen ja noch nicht«, fügte er hinzu, »er kann ja tot sein.«
    Die Art, wie er das sagte, überzeugte mich durchaus davon, was ich kaum zu vermuten gewagt hatte: daß er, weit entfernt, Reue über die Tat zu zeigen, nur den Fehlschlag beklagte. Es war eine Entdeckung, die ich für mich behielt, denn ich fürchtete, sie würde ihn bei seinem Weibe mißliebig machen. Aber ich hätte mir diese Sorge sparen können, sie hatte alles selbst erraten und fand das Gefühl ganz natürlich. In der Tat, ich kann nur sagen, daß wir alle drei in derselben Stimmung waren und keine Nachricht auf Durrisdeer freudiger begrüßt hatten als die vom Tode des Junkers.
    Das veranlaßt mich, von der einzigen Ausnahme zu sprechen, dem alten Lord. Sobald die Sorge für meinen eigenen Herrn etwas nachließ, bemerkte ich eine Veränderung bei dem alten Edelmann, seinem Vater, die tödliche Folgen befürchten ließ.
    Sein Gesicht war bleich und geschwollen. Wenn er über seinen lateinischen Büchern am Kamin saß, pflegte er plötzlich einzuschlafen, wobei die Schriften ins Feuer fielen. An manchen Tagen schleppte er einen Fuß nach, an anderen stotterte er beim Sprechen. Die Liebenswürdigkeitseines Benehmens schien aufs äußerste getrieben, er entschuldigte sich eingehend wegen der geringsten Bemühung und hatte das Wohl aller im Auge. Mir gegenüber war er von schmeichelhafter Höflichkeit. Eines Tages, als er seinen Rechtsanwalt zu sich gebeten hatte und lange Zeit allein mit ihm geblieben war, begegnete er mir, als er mit qualvollen kleinen Schritten durch die Halle ging, und nahm mich vertraulich bei der Hand. »Mr. Mackellar«, sagte er, »ich hatte oft Gelegenheit, Ihre Dienste voll zu würdigen, und heute habe ich mir die Freiheit genommen, als ich mein Testament neu aufstellte, Sie als einen meiner Testamentsvollstrecker einzusetzen. Ich glaube, daß Sie unserem Hause hinreichend Liebe entgegenbringen, um mir diesen Dienst zu erweisen.« Zu jener Zeit verbrachte er den größten Teil des Tages im Schlummer, aus dem er oft nur schwer geweckt werden konnte. Er schien alle Beziehungen zur Gegenwart verloren zu haben und rief mehrmals, besonders wenn er aufwachte, nach seiner Frau und einem alten Diener, dessen Grabstein bereits mit Moos grün bewachsen war. Unter Eid hätte ich erklären müssen, daß er unfähig war, sein Testament zu machen, und doch wurde nie ein letzter Wille sorgfältiger in jeder Einzelheit aufgesetzt und zeigte ein vorzüglicheres Urteil über Menschen und Dinge.
    Seine Auflösung vollzog sich, obgleich sie nicht sehr lange Zeit in Anspruch nahm, in unendlich feinen Abstufungen. Seine Fähigkeiten nahmen ständig miteinander ab, die Kraft seines Körpers war fast ganz dahingeschwunden, er war außerordentlich taub, seineStimme war nur noch leises Flüstern, und doch brachte er es zuwege, bis zu seinem Ende etwas von seiner früheren Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit zu bewahren. Jedem, der ihm half, drückte er die Hand, mir schenkte er eines seiner lateinischen Bücher, in das er sorgfältig meinen Namen geschrieben hatte, und auf tausenderlei Weise wurde uns die Größe des Verlustes klar, den wir beinahe schon jetzt erlitten hatten. Kurz vor dem Ende kehrte die Klarheit der Sprache blitzähnlich zurück, es schien, als habe er die Kunst des Sprechens nur vergessen, wie ein Kind seine Aufgabe vergißt, und als erinnere er sich zeitweise an Einzelheiten. In der letzten Nacht seines Daseins brach er plötzlich das Schweigen mit diesen Worten Virgils: » Gnatique pratisque, alma, precor miserere «, die er deutlich und mit richtiger Betonung aussprach. Beim ersten klaren Laut wurden wir von unseren Beschäftigungen aufgeschreckt, aber wir wandten uns ihm vergeblich zu, er fast schweigend und allem Anscheine nach teilnahmslos da. Ein wenig später wurde er mit größeren Schwierigkeiten als je zuvor ins Bett getragen, und zu irgendeiner Zeit der

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