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Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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mit einer Leichtherzigkeit, die gewiß nicht am Platze war und an Leichtsinn grenzte. Allerdings, seit wir die Ansprüche des Junkers nicht mehr zu befriedigen hatten, war es nicht mehr so notwendig, die Einschränkung zum Prinzip zu machen und umjeden Pfennig zu kämpfen. Andererseits ging diese Nachlässigkeit auch nicht allzuweit, sonst hätte ich sie nicht mitgemacht. Aber alles das wies auf einen Wandel hin, sehr geringfügig, aber doch deutlich bemerkbar. Und obgleich niemand behaupten konnte, mein Herr habe etwa seinen Verstand eingebüßt, so konnte doch auch niemand leugnen, daß er seinen Charakter verändert hatte. Dasselbe galt von seinen Gewohnheiten und seiner äußeren Erscheinung. Etwas von der Hitze eines Fiebers war in seinen Adern geblieben, seine Bewegungen waren ein wenig hastig, die Sprache bemerkenswert wortreicher, wenn auch keineswegs wirklich verwirrt. Seine ganze Seele war offen für glückliche Eindrücke, die er willkommen hieß, und aus denen er sich viel machte, aber die geringste Andeutung von Sorge und Kummer nahm er mit sichtbarer Ungeduld entgegen und streifte alles sofort erleichtert wieder ab. Dieser Gemütsverfassung verdankte er das Glück seiner späteren Lebenslage, und doch konnte man deshalb, wenn überhaupt davon die Rede sein konnte, den Mann nicht für geistig krank erklären. Ein großer Teil unseres Lebens geht dahin mit der Betrachtung der Dinge, die wir nicht ändern können, aber Mr. Henry mußte, wenn er die Sorge nicht durch Überlegungen bannen konnte, sofort und unter allen Umständen den Ursachen zu Leibe gehen, so daß er abwechselnd die Rolle eines Straußes und eines Stieres spielte. Dieser außergewöhnlichen Furcht vor dem Leiden muß ich alle jene unglückseligen und außergewöhnlichen Unternehmungen seines späteren Lebens zuschreiben. Ohne Zweifelwar dies die Ursache, weshalb er McManus, den Kammerdiener, schlug, eine Handlung, die seiner früheren Art völlig widersprach und seinerzeit so viel Unwillen erregte.
    Dies war auch der Grund, warum nahezu zweihundert Pfund verloren wurden, von denen ich mehr als die Hälfte hätte retten können, wenn seine Ungeduld es gestattet hätte. Aber er zog den Verlust oder eine verzweifelte Kraftanstrengung jeder andauernden geistigen Bedrückung vor.
    Alles das hatte mich unsere unmittelbare Sorge beinahe vergessen lassen, ob er sich der entsetzlichen Tat erinnerte oder sie vergessen hatte, und wenn er sich erinnerte, in welchem Licht er sie sah. Die Wahrheit wurde uns plötzlich offenbar, und sie war tatsächlich eine der größten Überraschungen meines Lebens. Er war schon einige Male draußen gewesen und begann ein wenig umherzugehen, wenn man ihm den Arm reichte, als ich zufällig mit ihm auf der Terrasse einmal allein war. Er wandte sich mir mit einem eigenartig versteckten Lächeln zu, wie Schuljungen es an sich haben, wenn sie ertappt werden, und sagte leise flüsternd und ohne jede Überleitung: »Wo habt Ihr ihn begraben?«
    Ich konnte kein Wort als Antwort herausbringen.
    »Wo habt Ihr ihn begraben?« wiederholte er. »Ich will sein Grab sehen.«
    Ich hielt es für das beste, den Stier bei den Hörnern zu packen. »Mr. Henry«, sagte ich, »ich kann Ihnen etwas mitteilen, das Sie außerordentlich erfreuen wird. Nach aller menschlichen Berechnung sind Ihre Händerein von Blut. Ich urteile nach gewissen Anzeichen, und nach diesen scheint es sicher, daß Ihr Bruder nicht tot ist, sondern in einer Ohnmacht an Bord des Kutters getragen wurde. Heute wird er wohl völlig wieder genesen sein.«
    Was in seinen Zügen lag, konnte ich nicht lesen. »James?« fragte er.
    »Ihr Bruder James«, antwortete ich. »Ich möchte keine Hoffnung erwecken, die sich als Täuschung erweisen könnte, aber in meinem Herzen halte ich es für sehr wahrscheinlich, daß er lebt.«
    »Ah!« sagte Mr. Henry, und plötzlich erhob er sich mit größerer Lebhaftigkeit, als er sie bisher gezeigt hatte, aus seinem Stuhl, setzte einen Finger auf meine Brust und rief mir mit einer Art heiser krächzendem Geflüster zu: »Mackellar« – das waren seine Worte –, »nichts kann diesen Menschen töten. Er ist nicht sterblich. Er sitzt mir für alle Ewigkeit im Nacken – für Gottes ganze Ewigkeit!«
    Und dann setzte er sich wieder und verfiel in hartnäckiges Schweigen.
    Ein oder zwei Tage später sagte er mit demselben geheimnisvollen Lächeln, und nachdem er zuvor um sich geblickt hatte, um sich zu versichern, daß wir allein waren:

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