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Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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wenn auch die Unterschiede groß waren, so war doch die Übereinstimmung stark genug, um mich mit Unbehagen zu erfüllen. Den ganzen Nachmittag saß ich da, wie ich schon sagte, und dachte für mich selbst darüber nach, denn die Lady hatte ihre eigenen Sorgen, und es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, sie mit meinen Phantasien zu belästigen. Ungefähr zur Hälfte der Zeit unseres Wartens kam ihr der kluge Gedanke, Mr. Alexander holen zu lassen und ihm aufzutragen, an seines Vaters Tür zu klopfen. Der Lord schickte den Jungen fort, aber ohne die geringste Heftigkeit in Bewegung oder Ausdruck, so daß ich die Hoffnung in mir aufleben fühlte, der Anfall sei vorüber.
    Als die Nacht schließlich hereinbrach und ich eine Lampe anzündete, die zurechtgemacht dastand, öffnete sich die Tür, und der Lord stand auf der Schwelle. Das Licht war nicht stark genug, um seine Züge erkennen zu lassen. Als er sprach, schien mir seine Stimme etwas verändert, aber doch durchaus ruhig.
    »Mackellar«, sagte er, »bringen Sie diesen Brief eigenhändig an seinen Bestimmungsort. Er ist durchaus privat. Überzeugen Sie sich, daß die Person allein ist, wenn Sie ihn überreichen.«
    »Henry«, sagte die Lady, »du bist doch nicht krank?«
    »Nein, nein«, sagte er unwillig, »ich bin beschäftigt. Durchaus nicht, ich bin nur beschäftigt. Es ist sonderbar,daß ein Mann krank sein soll, wenn er Geschäfte zu erledigen hat! Schicke mir mein Abendessen mit einem Korb Wein aufs Zimmer, ich erwarte den Besuch eines Freundes. Sonst will ich nicht gestört werden.«
    Und damit schloß er sich wieder ein.
    Der Brief war an einen gewissen Kapitän Harris in einer Kneipe am Hafen gerichtet. Ich kannte Harris vom Hörensagen als gefährlichen Abenteurer, der in dringendem Verdacht stand, früher Pirat gewesen zu sein; augenblicklich betrieb er das rauhe Gewerbe eines Indianerhändlers. Was der Lord ihm zu sagen haben mochte, oder er dem Lord, ging über mein Fassungsvermögen. Auch begriff ich nicht, wie der Lord von ihm gehört haben konnte, wenn nicht durch einen schimpflichen Prozeß, aus dem der Mann vor einiger Zeit glücklich entkommen war. Ich erledigte den Botengang also sehr unwillig, und das wenige, was ich von dem Kapitän sah, erfüllte mich mit Abscheu. Ich fand ihn in einer übelriechenden Kammer, wie er bei einer flackernden Kerze und einer leeren Flasche dasaß. Er verfügte noch über einen Rest militärischer Haltung, oder vielleicht war es auch nur eine Vorspiegelung, denn seine Benehmen war pöbelhaft.
    »Sagen Sie dem Lord mit meiner Empfehlung, daß ich Seine Gnaden innerhalb einer halben Stunde aufsuchen werde«, sagte er, als er den Brief gelesen hatte, und dann besaß er die Niedrigkeit, auf die leere Flasche zu zeigen und mir vorzuschlagen, ihm Schnaps zu kaufen.
    Obwohl ich mit größter Eile zurückkehrte, folgte der Kapitän mir auf den Fersen und blieb bis spät in die Nacht hinein. Der Hahn krähte zum zweitenmal, als ich von meinem Kammerfenster beobachtete, wie der Lord ihm zum Tor leuchtete. Beide waren vom Alkohol stark mitgenommen und lehnten sich manchmal gegeneinander, um sich etwas zuzuflüstern. Doch am nächsten Morgen war der Lord schon in aller Frühe unterwegs mit hundert Pfund Sterling in der Tasche. Ich wußte, daß er ohne sie zurückkommen werde, war aber ganz sicher, daß sie nicht den Weg zum Junker finden würden, denn ich lauerte den ganzen Morgen in der Nähe des Blockhauses. Es war das letztemal, daß Lord Durrisdeer die Grenzen seines eigenen Besitzes überschritt, bevor wir New York verließen. Er wandelte durch die Ställe oder saß und sprach mit seiner Familie, fast ganz wie früher, aber die Stadt sah ihn nicht wieder, und seine täglichen Besuche bei dem Junker schienen vergessen. Auch Harris erschien nicht wieder, jedenfalls nicht vor dem Abschied.
    Ich war nun sehr bedrückt angesichts der Geheimnisse, die uns umwoben. Es war offenbar, daß der Lord etwas sehr Ernstes vorhatte, wenn es auch nur aus der Änderung seiner Gewohnheiten geschlossen werden konnte, aber was es war, worauf es zurückging, und warum wir jetzt Haus und Garten hüten mußten, vermochte ich nicht zu erraten. Es war klar, ja sogar sicher, daß die Flugschriften etwas mit dieser völligen Änderung seiner Lebensweise zu tun hatten. Ich las sie alle, soweit ich sie finden konnte, aber sie waren alle durchaus nichtssagend und von der gewöhnlichen Art derParteialbernheiten. Selbst für einen Mann der hohen

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