Der Junker von Ballantrae
ich meine Augen aufhob, sah ich ein großes Schiff, das soeben vor Anker gegangen war. Es ist sonderbar, daß ich so gleichgültig hinübersehen konnte, denn dies Schiff brachte den Brüdern von Durrisdeer den Tod. Nach all den verzweifelten Episoden dieses Kampfes, den Beleidigungen, den Interessengegensätzen, dem brüderlichen Zweikampf im Gehölz sollte es einem armen Teufel im Zeitungsviertel der Londoner Grubstreet, der für sein tägliches Brot Zeilen zusammenschmierte, und dem es gleich war, was er schrieb, vorbehalten bleiben, einen Zauberspruch über eine Entfernung von viertausend Seemeilen hinüberzuschleudern und diese beiden Brüder in wilde und eisige Wüsten zu senden, wo sie starben. Aber solche Gedanken waren meiner Seele fremd, und während die Leute aus der Provinz um mich herum aufgeregt redeten wegen der ungewöhnlichen Belebung ihres Hafens, schritt ich durch ihre Mitte nach Hause, ganz versunken in die Erinnerung an meinen Besuch und die Reden des Junkers.
Am selben Abend wurde ein kleines Paket Flugschriften von dem Schiff zu uns gebracht. Am nächsten Tage hatte der Lord eine Verabredung mit dem Gouverneur, irgendeine Vergnügung zu besuchen. Die Zeit war ungefähr gekommen, und ich ließ ihn einen Augenblickallein in seinem Zimmer, während er die Flugschriften durchblätterte. Als ich zurückkam, war sein Kopf auf den Tisch gefallen, und seine Arme lagen über den zerknüllten Papieren.
»Mein Lord, mein Lord!« rief ich und lief auf ihn zu, denn ich fürchtete, er habe einen Anfall erlitten.
Er sprang auf wie eine Drahtpuppe, seine Züge waren wutentstellt, so daß ich ihn in fremder Umgebung kaum erkannt hätte. Seine Hand erhob sich plötzlich über den Kopf, als wolle er mich niederschlagen. »Lassen Sie mich allein!« kreischte er, und ich floh, so rasch meine zitternden Beine mich tragen wollten, zur Lady. Auch sie verlor keine Zeit, aber als wir ankamen, hatte er die Tür von innen verschlossen und schrie uns von der anderen Seite aus zu, ihn in Ruhe zu lassen. Wir sahen einander ins Gesicht, ganz bleich, und jeder glaubte, daß die Krankheit zum Durchbruch gelangt sei.
»Ich werde dem Gouverneur schreiben und ihn entschuldigen«, sagte sie, »wir müssen uns unsere einflußreichen Freunde erhalten.« Aber als sie die Feder ergriff, flog sie ihr aus der Hand. »Ich kann nicht schreiben«, sagte sie, »können Sie es?«
»Ich werde einen Entwurf machen, gnädige Frau«, erwiderte ich.
Sie sah mir über die Schulter, während ich schrieb. »Das genügt«, sagte sie, als ich fertig war. »Gott sei Dank, Mackellar, daß ich mich auf Sie verlassen kann! Aber was mag es nur sein, was mag es nur sein?«
Bei mir dachte ich, daß eine Erklärung unmöglichund auch nicht nötig sei. Meine Befürchtung ging dahin, daß der Irrsinn des Mannes nun einfach zum Durchbruch gekommen sei, wie die lange schwelenden Flammen eines Vulkans, aber aus reinem Mitleid mit der Lady durfte ich es nicht aussprechen.
»Es ist wichtiger, über unsere eigenen Maßnahmen nachzudenken«, sagte ich. »Sollen wir ihn allein lassen?«
»Ich wage ihn nicht zu stören«, entgegnete sie. »Die Natur muß es am besten wissen, vielleicht schreit die Natur danach, daß er allein ist, denn wir tasten im Dunkeln. O ja, ich würde ihn sich selbst überlassen.«
»Ich werde also diesen Brief fortschicken, gnädige Frau, und dann hierher zurückkommen, um Ihnen Gesellschaft zu leisten«, sagte ich.
»Bitte, tun Sie das«, rief die Lady aus.
Den ganzen Nachmittag saßen wir fast immer stillschweigend beieinander und beobachteten die Tür des Lords. Meine Seele beschäftigte sich mit der Szene, die wir vorhin erlebt hatten, und ihrer höchst sonderbaren Ähnlichkeit mit meiner Vision. Ich muß hierüber ein Wort sagen, denn das Gerücht davon hat sich mit vielen Übertreibungen weit verbreitet, und ich habe es sogar im Druck gelesen, wobei mein eigener Name als Zeuge für alle Einzelheiten genannt wurde. So viel stimmte überein: hier war der Lord in einem Zimmer, den Kopf auf dem Tisch, und als er sein Gesicht hob, hatte es einen Ausdruck, der mich bis in die Seele hinein erschütterte. Aber der Raum war ein anderer, die Haltung des Lords am Tisch durchaus nicht die gleiche, und als er sein Gesicht zeigte, hatte es den Ausdruck qualvollerWut, nicht den jammervoller Verzweiflung, den es stets, mit einer Ausnahme, die ich bereits erwähnt habe, in der Vision zeigte. So ist nun die ganze Wahrheit endlich offenbar, und
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