Der Kaefig - Roman
danach auf eine Kirschbrause zu King’s Drug Store und schließlich zum Haus der Harrisons. Die Harrisons waren im Urlaub. Die beiden setzten sich auf die Hollywoodschaukel auf der Veranda des verlassenen Hauses. Sie küssten sich. Und streichelten sich. Sie ließ Junior in dieser Nacht weiter gehen als sonst. Er wollte mit ihr schlafen, doch sie weigerte sich. Sie ließ es nie zu. Nicht in dieser Nacht und auch nicht in der nächsten. Und dann wurde er einberufen. Er landete in Uncle Sams Infanterie … die verfluchte, armselige Infanterie nannten sie es. Aber Junior war stolz, kämpfen zu dürfen. Auf dem Truppenschiff genoss er die Kameradschaft und sang in der Messe mit seinen Kameraden besonders laut. Selbst auf dem Schiff trainierten sie hart. Körperliche Ertüchtigung. Ausbildung an der Waffe: Schießübungen; Scharfschützentraining; Möwen abschießen, die
dem Schiff folgen; mit verbundenen Augen eine Thompson-Maschinenpistole zerlegen und wieder zusammenbauen, so dass sie schussbereit ist, wenn der Sergeant das Kommando gibt. Und natürlich das endlose Stiefelpolieren.
In einem seiner Briefe an Claire schrieb Junior, dass er in Nordafrika war. In Casablanca. Dort gab es wirklich Rick’s Café Américain, berichtete er. Aber wo waren die Deutschen? Sie zogen sich schneller zurück, als die Amerikaner vorrücken konnten. Bei diesem Tempo würde er beim Einmarsch nach Berlin noch Wüstensand in den Stiefeln haben.
Aber dann leisteten die Deutschen in einem engen Gebirgspass irgendwo im Niemandsland Widerstand. Ihre 88-Millimeter-Geschütze erleuchteten den Nachthimmel. Stukas schossen kreischend herab, warfen Bomben und feuerten mit ihren Maschinengewehren. Zwei Wochen später fiel Junior Clyde im Gefecht.
Auf dem Bildschirm sagte Rick: »Uns bleibt immer noch Paris.«
Claire schluchzte auf, so laut, dass Herb ächzte und sich umdrehte.
Sie wischte sich die Augen. Ihr Herz fühlte sich an, als würde es brechen. Und nie wieder heilen. Sie dachte an das Foto von Junior, das sie noch immer in einer Schublade versteckt aufbewahrte.
Dann drang ein langer klagender Schrei durch das offene Fenster. Von dem unheimlichen Geräusch bekam sie eine Gänsehaut. Sie zog sich das Laken bis unters Kinn hoch. Der Schrei hörte nicht auf. Eine Katze. Es musste eine Katze sein.
Aber es klang so sehr nach einem Baby. Es musste draußen im Hof sein. Ziemlich nah. Direkt unter ihrem Fenster. So nah.
Claire schlug das Laken zurück und stieg aus dem Bett. Sie ging zum Fenster und blickte hinaus. Ihre Augen glitten über den mondbeschienenen Beton, die Liegestühle, die glitzernde Oberfläche des Pools. Zuerst übersah sie die dunkle Silhouette, die reglos neben dem Sprungbrett stand. Doch dann bewegte die Gestalt sich und wandte sich Claire zu. Sie keuchte erschrocken auf beim Anblick des Babys in den Armen der Fremden.
Claire starrte die Frau an. Schauder liefen ihr den Rücken herab. Die dunkle Gestalt schien sie bemerkt zu haben und starrte zurück. Claire fühlte sich plötzlich verletzlich. Sie wollte vom Fenster wegtreten, aber sie hatte Angst, sich zu rühren – als könnte die kleinste Bewegung einen schrecklichen Angriff provozieren.
Das Ding bewegte sich nicht. Claire spürte seinen kalten Hass. In dem schwachen Licht sah es aus wie eine seltsame halbverhungerte Frau. Und das ganze rote Haar. In leuchtenden Strähnen fiel es über ihren Rücken und die Schultern. So schönes Haar. Aber die Beine? Schrecklich verdorrt. Wie schwarze Stöcke.
Das schreiende Baby konnte wohl kaum zu dieser Kreatur gehören. Es musste seiner Mutter gestohlen worden sein.
Claires Atem wurde zu einem leisen, zittrigen Wimmern.
Das Baby schrie weiter.
Zerrte weiter an Claires Innerstem.
Das Ding stand einfach da und starrte sie an. Hasste sie.
Claire zitterte und klammerte sich ans Fensterbrett. Ihre Beine waren so schwach, dass sie nachgaben.
»Verdammt, was ist denn das für ein Lärm?«
Herbs Stimme erschreckte sie. Sie zuckte zusammen und drehte sich zu ihm um. Dann trat sie schnell seitlich vom Fenster weg. Schwach lehnte sie sich an die Wand.
»Claire? Was ist los?« Er rollte sich aus dem Bett und eilte zu ihr.
»Vor dem Fenster«, keuchte sie.
Er sah hinaus. »Großer Gott.«
»Es hat ein kleines Baby!«
»Ich sehe es. Schnell, ruf die Polizei.«
Er lief zum Nachttisch.
»Nicht, Herb!«
Er nahm die Pistole heraus. Überprüfte sie. Sechs Kugeln. Hohlspitzgeschosse.
»Bitte! Geh nicht da raus!«
»Ich
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