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Der kälteste Winter: Erinnerungen an das befreite Europa (German Edition)

Der kälteste Winter: Erinnerungen an das befreite Europa (German Edition)

Titel: Der kälteste Winter: Erinnerungen an das befreite Europa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Fox
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reden würde», sagte er und wedelte in Richtung des gepflegten Grundstücks hinter sich. «Er möchte Ihnen ein paar Fragen über Ihr Land stellen».
    Ich ging in den herbstlichen Garten. Ein kleiner Mann, dessen eines Auge unstet wanderte, lehnte sich an ein Vogelbad. Er trug eine Brille. Im Vogelbad schwammen Bruchstücke schmutzigen Eises. Ich bemerkte, daß er sich mit der nackten linken Hand an dessen Rand klammerte. Während unserer kurzen Unterhaltung gewann ich den Eindruck, daß er immer schon so alt ausgesehen hatte wie jetzt.
    Endlich fiel ihm auf, daß ich zitterte, und er führte mich ins Wohnzimmer der Villa. Ich hörte, wie jemand seinen Namen murmelte: Jean-Paul Sartre. Ich erinnerte mich vage, schon von ihm gehört zu haben, und verfluchte meine Dummheit, als ich daran dachte, wie wissend ich über die Vereinigten Staaten gesprochen hatte – vor allem über Kalifornien, über das er viele Fragen gestellt hatte –, obwohl ich doch so wenig Ahnung hatte.
    Nick rollte mit den Augen, als ich ihm berichtete, wie ich Sartre Vorträge gehalten hatte. «In manchen Kreisen eine ganz große Nummer», kommentierte er.
    Marschall Schukows Sohn – ich habe seinen Vornamen vergessen – marschierte in militärischem Schritt quer durch den Raum auf mich zu, und seine Leibwächter, die wie Hydranten aussahen, versuchten, ihm auf ihren kurzen, stämmigen Beinen zu folgen. Schukow verbeugte sich zu oft und lud mich ein, ihn in Moskau zu besuchen, wo er damals lebte. Ich lächelte und lehnte umständlich ab, was er, glaube ich, als Zustimmung mißverstand. Dann verbeugte ich mich, er erwiderte die Verbeugung, und das Ganze zog sich kompliziert in die Länge, bis ich mich schließlich losreißen konnte.

    Ich kehrte nach Paris zurück, wo meine Arbeit, so unbedeutend sie auch gewesen sein mochte, getan war.
    Ich verabschiedete mich von meiner Freundin Lucienne. Sie stand auf dem Bürgersteig eines großen Boulevards, die Baskenmütze von unserer Umarmung vor einer Sekunde verrutscht. Ich fuhr wieder nach London, um von dort nach Polen gesandt zu werden. An meinem letzten Abend in Paris ging ich am linken Seineufer spazieren. Die Straßen waren beinahe menschenleer, als ich mich dem Café Les Deux Magots näherte.
    Plötzlich kam aus den Schatten eine Gestalt auf mich zu. Das schwache Licht der Straßenlampe ließ ihr Haar wie einen Heiligenschein erstrahlen. In einer Hand hielt sie ein Glas Weißwein.
    Es war Maggie, die ich zuletzt in New York City gesehen hatte, in der Wohnung, in der sie als Untermieterin lebte. Sie hatte mir die Namen der beiden Paare gegeben, bei denen ich in London gewohnt hatte. Damals hatte sie ein Cocktailglas mit einem Rest Martini darin in der Hand gehalten. Ich hatte sie einen Tag vor ihrer Heimkehr nach London besucht. Um sie herum lagen offene Kartons mit Kleidern, Handtaschen und Schuhen. Auf ihren ansprechenden Zügen spielte ein triumphierendes Lächeln, in das sich ein wenig Reue mischte, als sie mir erzählte, daß sie die Sachen im Zimmer alle auf Kredit gekauft hatte – sie deutete auf die gesamte Beute um uns herum – und jetzt alles mit nach Hause nahm und, ja genau, vor der Rechnung davonlief, die am Ende des Monats kommen würde. Sie lachte, prostete in die Luft und trank den Rest Martini aus.
    Damals war die Welt in so vieler Hinsicht – in wichtiger oder unbedeutender – eine andere. Zum Beispiel konnte man seinen Rechnungen leicht entkommen, indem man einfach das Land verließ, in welchem man Schulden gemacht hatte. An jenem Tag war sie so fröhlich und einnehmend gewesen, ihr Gesicht von blonden Locken umrahmt, das Glas in der Hand, ihr Diebesgut auf Möbeln und Tischen im ganzen Zimmer ausgebreitet. Irgendwie hatte sie es geschafft, gleichzeitig einen gepflegten und verlotterten Eindruck zu machen.
    Für mich war Stehlen jedoch schockierend, und das mag mein Gesicht verraten haben.
    «Denk keine Sekunde mehr darüber nach», sagte sie. «Tu einfach so, als hätte ich bar bezahlt.» Aber ich konnte nicht einfach nicht daran denken.
    Jetzt kam sie aus dem Deux Magots auf mich zu und sah aus wie ein befleckter Engel. Sie sagte, sie habe mich aus einem Fenster des Cafés erspäht. Wieso ich in Paris war, fragte sie nicht.
    Kennengelernt hatte ich sie in New York City als Teil einer Gruppe kommunistischer Sympathisanten oder Fellow Travelers , wie sie seinerzeit genannt wurden. Das Gerücht kursierte, sie arbeite für den britischen Geheimdienst. Es muß mir damals als

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