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Der Kaffeehaendler - Roman

Der Kaffeehaendler - Roman

Titel: Der Kaffeehaendler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Liss Almuth Carstens
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ehrlich sein: Mein Vater war kein frommer Mann
oder ein Weiser oder Heiliger. Weit gefehlt. Ich räume dies offen ein und halte es für keine Beleidigung seines Namens. Mein Vater war ein Gauner und Betrüger; doch in seinen Augen waren Gaunerei und Betrug ehrbare Dinge.
    Weil er in unserem Glauben erzogen worden war – kein Gelehrter, bewahre, sondern bloß ein Mann mit Bildung -, wurde mein Vater von den heimlichen Juden in Lissabon in einem Ausmaß toleriert, das es sonst vielleicht nicht gegeben hätte, denn er lenkte weitaus mehr Aufmerksamkeit auf sich, als es für einen Neuchristen klug war. Wo immer Kaufleute mit ein paar Münzen zusammenkamen, die sie erübrigen konnten, fand sich mein Vater ein mit seinen Wundermitteln zur Lebensverlängerung, Verbesserung der Potenz oder Heilung jeglicher Krankheit. Er kannte Tricks mit Karten und Kugeln und Würfeln. Er konnte jonglieren und Seiltanzen und Saltos machen. Er wusste, wie man Hunde darauf dressierte, einstellige Zahlen zu addieren und zu subtrahieren, und wie man Katzen beibrachte, auf den Hinterbeinen zu tanzen.
    Mein Vater war der geborene Anführer, er lockte andere an, die ihren Lebensunterhalt mit unzähligen irreführenden und wunderlichen Belustigungen bestritten. Er befehligte ein Heer von Falschspielern und Würfelzinkern, Feuer- und Schwertschluckern. Auch diejenigen, die damit ihr Geld verdienten, dass sie einfach die Körper zur Schau stellten, mit denen die Natur sie geschlagen hatte, sammelten sich unter dem Banner meines Vaters. Zu meinen frühesten Kindheitsgefährten gehörten Zwerge und Riesen, monströs Fette und Ausgezehrte. Ich spielte mit dem Schlangenbeschwörer und dem Ziegenmädchen. Als ich älter wurde, begann ich mich für eine meinem Vater bekannte Person zu interessieren, die die Anatomie sowohl eines Mannes als auch einer Frau besaß. Für wenige Münzen erlaubte dieses unglückliche Wesen jedem, ihm dabei zuzusehen, wie es mit sich selbst Unzucht trieb.

    Als ich zehn Jahre alt war, erhielt mein Vater eines späten Abends Besuch von Miguel Lienzo, einem älteren Jungen, den ich vom Gottesdienst in der Synagoge kannte. Er war spitzbübisch, von der seltsamen Gefolgschaft meines Vaters ebenso angezogen wie von seinen Belehrungen. Ich sage, dass er spitzbübisch war, weil er sich Autoritäten gern widersetzte, und zu der Zeit, als ich ihn in Lissabon kannte, waren die Autoritäten, denen er sich am liebsten widersetzte, seine eigene Familie und die Inquisition.
    Dieser Lienzo entstammte einer relativ aufrichtigen neuchristlichen Familie. Es gab nicht wenige von ihnen: Männer, die sich aus echtem Glauben oder auch nur, um nicht verfolgt zu werden, der christlichen Lebensweise völlig anpassten und sich von denen fern hielten, die als Juden zu leben versuchten. Lienzos Vater war ein erfolgreicher Kaufmann und durfte seiner Meinung nach den Zorn der Inquisition nicht riskieren. Vielleicht kam Miguel allein aus diesem Grund so eifrig zu unseren Gebetszusammenkünften und mühte sich zu lernen, was ihm mein Vater beibringen konnte.
    Darüber hinaus nutzte der junge Miguel die Verbindungen seines Vaters zur Gemeinde der Altchristen, um möglichst viel über die Inquisition in Erfahrung zu bringen. Er hatte ein gutes Ohr für Gerüchte. Ich kannte ein halbes Dutzend Familien, die in der Nacht, bevor die Inquisitoren an ihre Tür klopften, geflohen waren – und das nur, weil Lienzo sie gewarnt hatte. Ich glaube, er tat dies nicht nur um der Gerechtigkeit willen, sondern weil es ihm Vergnügen bereitete, sich in Dinge einzumischen, die ihn nichts angingen. Jahre später, als ich ihn in Amsterdam wiedersah, erkannte er mich weder, noch erinnerte er sich, was er für meine Familie getan hatte. Ich habe seine Güte nie vergessen, obwohl einige das Gegenteil behaupten.
    Miguel kam, um uns zu warnen, nachdem er sich bereit erklärt
hatte, unserem Priester dabei zu helfen, seine Privatgemächer in der Kirche zu schrubben (er übernahm diese undankbaren Aufgaben immer freiwillig in der Hoffnung, an wichtige Informationen zu gelangen), und hatte dabei zufällig ein Gespräch zwischen jenem Schuft und einem Inquisitor mit angehört, der meinen Vater beobachtet hatte.
    Und so verließen wir im Dunkel der Nacht das einzige Zuhause, das ich kannte, und nahmen viele Freunde mit uns. Wir waren Juden und Christen und Mauren und Zigeuner, und wir bereisten mehr Städte, als ich hier aufzählen kann. Jahrelang lebten wir im Osten, und ich hatte das

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