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Der Kaffeehaendler - Roman

Der Kaffeehaendler - Roman

Titel: Der Kaffeehaendler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Liss Almuth Carstens
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hier aus Ungeduld zunichte zu machen, wäre Wahnsinn. »Wir werden alles noch einmal nach dem Zwanzigsten erörtern. In einer Woche.«
    »Eine Woche ist eine lange Zeit«, meinte die Witwe nachdenklich. »Vermögen werden in einer Woche gemacht. Königreiche entstehen und fallen in einer Woche.«
    »Ich brauche eine Woche«, wiederholte Miguel leise.
    »Dann also in einer Woche«, sagte Geertruid auf ihre gewinnende Weise. Sie wusste, dass sie nicht weiter drängen durfte.

    Miguel merkte, dass er mit den Knöpfen an seinem Rock gespielt hatte. »Nun muss ich gehen und mich um meine unmittelbareren Angelegenheiten kümmern.«
    »Ehe Sie gehen, will ich Ihnen noch etwas geben, das Ihnen bei der Entscheidung helfen soll.« Geertruid winkte Crispijn zu, der herangeeilt kam und einen groben Wollsack vor ihr abstellte.
    »Er schuldet mir Geld«, erklärte sie, sobald ihr Vetter sich entfernt hatte. »Ich habe eingewilligt, ein wenig hiervon als Bezahlung anzunehmen, und ich wollte Ihnen etwas zum Nachdenken mitgeben.«
    Miguel schaute in den Beutel, der ein Dutzend Hände voll bräunlicher Beeren enthielt.
    »Kaffee«, sagte Geertruid. »Crispijn hat die Früchte für Sie zubereitet, weil ich weiß, dass man von einem portugiesischen Hidalgo nicht erwarten kann, dass er seine Bohnen selbst röstet. Man zermahlt sie einfach zu einem Pulver, das man mit heißer Milch oder gesüßtem Wasser mischt, und filtert dann das Pulver heraus, wenn man will, oder lässt es sich setzen. Trinken Sie nicht zu viel von dem Pulver, sonst geraten Ihre Eingeweide in Wallung.«
    »Sie haben nichts von Eingeweidewallungen erwähnt, als Sie das Loblied sangen.«
    »Selbst die größten Herrlichkeiten der Natur können schaden, wenn Sie sie in der falschen Dosis zu sich nehmen. Ich hätte ja gar nichts gesagt, aber ein Mann mit unruhigen Eingeweiden gibt einen schlechten Geschäftspartner ab.«
    Miguel ließ sich noch einmal von ihr küssen, dann drängte er sich durch die Schenke und trat hinaus in die nebelige Kühle des späten Nachmittags. Nach dem Gestank im Goldenen Kalb erschien ihm die salzige Luft vom Ij so wunderbar reinigend wie die Mikwe, das rituelle Tauchbad, und er ließ den Nebel einen Moment lang auf seinem Gesicht verweilen,
bis ein Junge, keine sechs Jahre alt, begann, ihn am Ärmel zu zupfen und kläglich nach seiner Mutter weinte. Miguel warf ihm im Vorgeschmack auf den Reichtum, den der Kaffee ihm bringen würde – die Befreiung von Schulden, sein eigenes Heim, die Möglichkeit, wieder zu heiraten, Kinder -, einen halben Stuiver zu.
    Sofort tadelte er sich dafür, dass er so fahrlässig war. Weitere tausend Gulden im Soll. In der Vlooyenburg war er schon dreitausend schuldig, davon gingen fünfzehnhundert an seinen Bruder, die hatte er sich geliehen, nachdem der Zuckermarkt eingebrochen war. Er hatte dem Konkursamt im Rathaus gestattet, seine Schulden bei den Christen zu regeln, aber die Juden in seinem Viertel regelten ihre Angelegenheiten unter sich.
    Die Flut fing an zu steigen, und jenseits der Rozengracht waren die Straßen schon nass. Auf der anderen Seite der Stadt, im Haus seines Bruders, würde der Keller, wo Miguel zurzeit übernachtete, bald überschwemmt sein. Das war der Preis dafür, in einer Stadt zu leben, die auf Pfählen ins Wasser gebaut war. Doch Miguel machte sich nichts mehr aus den Unannehmlichkeiten Amsterdams, die ihn anfangs gestört hatten. Er bemerkte den Gestank des Kanalwassers nach totem Fisch oder das Klatschen der Schritte auf den nassen Straßen kaum noch. Toter Fisch war der Duft von Amsterdams Reichtum, das Klatschen des Wassers seine Melodie.
    Am vernünftigsten wäre es, gleich nach Hause zu gehen und Geertruid ein Briefchen zu schreiben, in dem er erklärte, die Risiken, mit ihr zusammenzuarbeiten, seien zu groß und könnten ihn in den Ruin stürzen. Aber mit Vernunft würde er seine Schulden nicht loswerden, und der Ruin drohte ihm bereits. Noch vor wenigen Monaten waren die Lagerhäuser an den Kanalufern von seinem Zucker übergequollen, und er war wie ein Bürger der Stadt durch die Vlooyenburg stolziert. Er
war bereit gewesen, den Verlust Katarinas zu vergessen, sich eine neue Frau zu nehmen und Söhne zu zeugen. Die Heiratsvermittler hatten sich um ihn gestritten. Doch jetzt war er verschuldet. Sein Ansehen war auf weniger als nichts gesunken. Er erhielt Drohbriefe von einem Mann, der verrückt sein musste. Wie konnte er sein Schicksal wenden, wenn nicht durch ein wagemutiges

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